„Warum seid Ihr denn so aufgeregt?“, schrie die Eule, weil das Spektakel vor ihrer Baumhöhle nicht nachlassen wollte.
„Da bist du ja“, fiepte die Amsel, „endlich“, und dann brach wieder ein wildes Zirpen und Fiepen an. Die Eule sah ein, dass es sinnlos war, dagegen anzuschreien und beschloss, ruhig auf einem Ast zu warten. Sie drehte ihren Kopf um 180 Grad, was sie gerne tat, um sich die Zeit zu vertreiben und auch um etwas anzugeben. Sie sagte dann gerne zu den jungen Drosseln und Spatzen: „Macht das aber nicht nach“, und blickte dabei sehr klug. Natürlich versuchten es die jungen Vögel, was sehr drollig aussah. Die Eule lächelte dann milde.
„Die Eule, die Eule vom Nachbarwald“, sagte der Fink und würgte vor Aufregung sein Mageninneres wieder hervor, „sie kommt.“
„Ach, tatsächlich“, sagte die Eule und drehte ihren Kopf um satte 360 Grad.
Ja, ja, ja. Die weise Eule vom Nachbarwald. Sie würde mit einer kleinen Gefolgschaft in wichtiger Angelegenheit ins nächsten Tal ziehen, so hieß es. Aber sie würde für eine Nacht bleiben. Hier bei uns. Das wäre doch eine echt tolle Gelegenheit, einmal für die Eule mit der Eule des Nachbarwaldes zu reden. Man stelle sich vor: zwei weise Eulen im Gespräch. Eine Konferenz der Erleuchteten. Erhabene im Dialog.
Hm, hm, beschwichtigte die Eule.
Der große Tag
Dann kam der große Tag. Die Eule vom Nachbarland landete auf der Lichtung mit einer Gefolgschaft, die wahrlich nicht klein war. Und das waren nur die Vögel. Zu Fuß kamen die Wildschweine und Eichhörnchen, Hirsche und Wühlmäuse aus dem Nachbarwald. „Ui, da wird es aber eng“, stöhnte der Borkenkäfer.
Auch im Nachbarwald war die Aufregung groß darüber gewesen, dass ihre weise Eule zu einer kurzen Konferenz mit der anderen Eule zusammentreffen wollte und sie wollten alle dabei sein. Und da saßen sie, erwartungsfroh. Die Tiere des anderen Waldes und die Tiere dieses Waldes und sie bildeten einen unglaublich großen und dichten Kreis auf der Lichtung und in der Mitte saßen sich die beiden Eulen gegenüber. Die Eule dieses Waldes und die Eule des anderen Waldes.
„Ja, ja“, sagte die eine Eule.
„Freilich“, sagte die andere Eule.
Und dann wurde es still, ganz still. Man hätte meinen können, ein Gewitter ziehe auf, so still war es im Wald. Der Specht klopfte nicht, die Kuh käute nicht wieder, selbst die Ameisen hatten aufgehört, ihre Tannennadeln über den Waldboden zu schleifen.
Da saß die Eule dieses Waldes und da saß die Eule des anderen Waldes. Die Tiere rundum hielten den Atem an, denn das erlebte man nicht oft, dass zwei weise Eulen zusammentrafen. Der Eichelhäher hielt sogar so lange die Luft an, dass er ohnmächtig wurde. Die ganze Nacht hindurch herrschte Stille. Die Eulen saßen einander gegenüber und sagten nichts, die Tiere rundum hielten die Luft an und nur die Bonobos oben in den Bäumen wagten es, sich an den Genitalien zu kratzen. „Mach das mal nach“, flüsterte ein Bonobo hinunter zur Eule. Aber er hauchte es wirklich nur ganz leise, weil auch er sehr angespannt war.
Am nächsten Morgen
Am nächsten Morgen drehten beide Eulen ihre Köpfe, putzen ihr Gefieder und verneigten sich voreinander. Die Eule des anderen Waldes erhob sich in die Luft und etwas steif und irritiert, aber mit zunehmender Lebendigkeit folgten ihr ihre Waldbewohner.
Dann lag die Lichtung in der Morgendämmerung, die Eule des Waldes saß zufrieden in der Mitte und drehte ihren Kopf. Die Tiere starrten sie an, müde und fassungslos. „Was war das?“, grunzte die Wildsau. „Ich hab Hunger“, sagte die Kuh und sah nach, ob in einem ihrer Mägen noch was zum Widerkäuen war. „Puh“, meinte der Fuchs und wusste nicht, was er den kleinen Füchsen, die ihn anstarrten, jetzt sagen sollte.
„Warum, liebe Eule“, wagte der Frosch zu quaken, „warum habt ihr denn nichts geredet?“ „Ja, was hätten wir denn reden sollen?“, fragte die Eule. Das wusste der Frosch freilich nicht und seine hilflosen Blicke in die Runde der Tiere blieben unbeantwortet. „Es gibt nichts zu sagen, wenn man weiß“, sagte die Eule und sah mit einer langsamen 360-Grad-Kopfdrehung in die Runde.
Die Tiere gingen langsam und benommen auseinander, um wieder ihrem üblichen Tun nachzugehen. Diese atemlose Nacht auf der Lichtung würden sie wohl nie vergessen. „Das muss man ihr erst mal nachmachen“, sagt der Bonobo oben im Baum anerkennend und kratzte sich an den Genitalien.