Kollaps

Warum Menschen in Gruppen katastrophale Entscheidungen treffen

Wir leiden gerade an multiplen Krisen und es sieht mitunter so aus, als würden „wir“ (Politik, Interessensvertreter, Wähler*innen, …) sie auch noch mutwillig verschärfen. Wie kommt es, dass Gruppen von Menschen angesichts von Krisen katastrophale Entscheidungen treffen? Woher kommt diese Neigung zur Schwarmdummheit? Es sind ganze Gesellschaften daran untergegangen – Osterinseln, die Wikinger in Grönland – und die heute erstaunlich geringe Beweglichkeit alleine angesichts der Klimakrise droht ein weltweiter Akt von Selbstbeschädigung zu werden.

Auch Individuen treffen schlechte Entscheidungen, doch die Unbelehrbarkeit von Gruppen hat dramatischere Ausmaße, weil es alle betrifft. Der Evolutionsbiologe Jared Diamond hat sich in seinem Werk „Kollaps“ darüber Gedanken gemacht und ich möchte hier einige Aspekte aufgreifen.

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Erstens sehen wir Probleme nicht voraus, bevor sie sich tatsächlich eingestellt haben. Das ist durchaus verständlich, denn wir haben mit dem spezifischen Problem einfach noch keine Erfahrung, wie etwa beim Einschleppen fremder Arten in ein neues Land. Erst viel später merken wir: hoppla, das wir nicht so gut. Oder aber die Erfahrung ist so alt, dass sie in Vergessenheit geraten ist. Die Dürre im dritten Jahrhundert konnte die Maya des 9. Jahrhunderts nichts über deren Bewältigung lehren. Das war das Problem von Kulturen ohne Schrift, wie Diamond anmerkt, allerdings scheinen wir auch mit Schrift sehr vergesslich zu sein. Trotz Ölkrise in den 70er Jahren hat später eine regelrechte Explosion von benzinbetriebenen SUVs stattgefunden und eben lese ich: Im ersten Halbjahr 2023 entfielen österreichweit bereits 44 Prozent der neu zugelassenen Pkw auf SUVs. (Quelle: profil).

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Zweitens – und hier wird es noch erstaunlicher – sehen wir Probleme auch dann nicht, wenn sie sich bereits eingestellt haben. Wir werden eine bereits jetzt unabwendbare Klimaerwärmung haben, aber viele glauben das nicht, weil die Entwicklung Schwankungen hat. Die Temperatur nimmt ja nicht statistisch brav jährlich um exakt 0,01 Prozent zu, bis sie die drei Grad plus erreicht hat. Es geht hinauf und hinunter und es braucht Zeit, um den Trend wahrzunehmen. Und wenn man ihn endlich wahrnimmt, dann ist es zur schleichenden Normalität geworden. Eh nicht so schlimm, heißt es dann, diese eine superheißen Aprilwoche halten wir aus. Das Ergebnis am Ende des gesamten Prozesses ist sehr wohl schlimm, wird aber nicht gesehen. Wenn rund um ein Dorf die Wälder langsam und beständig abgeholzt werden, so fällt das den Dorfbewohnern nicht so stark auf. Nur Beobachter von außen, etwa Leute, die nach zwanzig Jahren in ihr Heimatdort zurückkommen, sind schockiert, weil sie die Veränderung plötzlich erleben.

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Drittens gibt es auch das Phänomen, dass das Problem bekannt ist, aber trotzdem keine Lösung versucht wird. Das kann religiöse oder ideologische Ursache haben. So könnte man meinen, dass eine Höhere Gewalt es so vorgesehen hat und es schon seinen Sinn haben und man gerettet wird. Oder es passt nicht in das ideologische Konzept und dann kann nicht sein, was nicht sein darf. Allerdings führen auch „rationale“ Ursachen zu Lösungsresistenz. Einige „rechnen“ sich einen Gewinn aus, wenn sie so weitermachen bisher. Allen schadet es, aber mir hilft’s. Das mag für den Moment richtig gerechnet sein, ist ethisch eine Katastrophe und langfristig falsch. Ganz am Schluss verlieren alle. Das langfristige Denken ist ohnehin etwas, was den Menschen nicht so liegt. Wir sind dazu verdammt zu konsumieren – Atmen, Essen, Behaglichkeit – und können das nicht verschieben. Wir müssen jetzt atmen und essen, und daher wollen wir auch jetzt alle Benefits lukrieren, die möglich sind. Und sei es auf Kosten der Zukunft.

Die über allem schwebende Gefahr ist, dass in so zugespitzten Situationen wie heute die Leute gerne glauben wollen, dass es dafür einfache Lösungen gibt. Das ist die Zeit der Scharlatane.

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Aber es muss so nicht kommen. Viele sind am Ende der Geduld angekommen. Die Proteste steigen und die Alarmsirenen schrillen lauter. Das könnte die Funktion eines lauten Weckers für Langschläfer haben. Neue kooperative Formen des Wirtschaftens werden ausprobiert, Unternehmen investieren freiwillig Millionen, um in der Kreislaufwirtschaft anzukommen. Wir haben durch moderne Kommunikationsmittel erstmals die Möglichkeit, von den Erfahrungen aus anderen Weltgegenden und aus längst vergangenen Zeiten zu lernen. Dadurch können wir den Nachweis antreten, dass wir auch in großen Gruppen eine weise Wahl treffen können. Die menschliche Schwarmintelligenz hat noch eine Chance.