Die Populisten nehmen uns die Arbeitskräfte weg. Es ist an der Zeit, die Menschen anzunehmen anstatt sie abzuschieben
(Die Kolumne ist im Magazin „die Wirtschaft 03/2023“ erschienen > E-Paper)
Es mangelt an Arbeitskräften in Österreich. 300.000 Menschen fehlen derzeit da und dort. Der Zustand ist schlimm und droht dramatisch zu werden. Daran ist erstaunlich, dass wir so überrascht und überrumpelt tun. Das war alles abzusehen. Die Alterspyramide entsteht ja nicht täglich neu per Zufallsgenerator. Die politisch Verantwortlichen haben es gewusst. Sie sind ja dazu da, Statistiken zu lesen und daraus Schlüsse zu ziehen. Sie sind dazu da, das Gedeihen des Staates auf allen Ebenen sicherzustellen und vorausschauend zu handeln. Was hat „die Politik“ getan? Sie hat über Jahrzehnte, befeuert von den niedrigsten verfügbaren Instinkten, eine Migrationspolitik betrieben, die es ausländischen Arbeitskräften so gut wie nur möglich verwehrt, hier zu bleiben, sesshaft zu werden, zu arbeiten und Steuern zu zahlen. Letztes beeindruckendes Beispiel ist die Wortmeldung des Herrn Waldhäusl, der meinte, ohne Ausländer wäre Wien noch Wien. An dieser Wortmeldung stimmt gar nichts. Ohne Ausländer wäre Wien am Boden zerstört und betriebsunfähig. Der Herr Landesunrat [© Armin Thurnherr] wird nur deshalb nicht ausreichend in die Schranken gewiesen, weil genau mit diesem Wahn die Politik kokettiert. Sie hat damit über Jahrzehnte nicht nur nichts getan, die absehbare Situation des Arbeitskräftemangels zu lindern, sondern hat sie willentlich verschärft. Natürlich darf man das heilige Recht auf Asyl nicht mit Arbeitskräftebeschaffung verknüpfen. Das wäre Zynismus. Aber Migration ist mehr als die Anwendung des Asylrechts. Es heißt, gezielten Zuzug und Integration zu ermöglichen. Asyl und Migration und alles Fremde werden aber in einen Topf geworfen und dieser Topf wird publikumswirksam entsorgt. Zur Befriedigung niederer Instinkte, zum Schaden der Wirtschaft.
Wer wird den Populisten im Altersheim den Hintern auswischen?
Haben unsere Lieblingspopulisten seit Jörg Haider etwa vor, selbst freiberuflich lebensnotwendige Dienstleistungen zu erbringen, Straßenbahnen zu steuern, alten Menschen die Verbände zu wechseln, Forstarbeit zu erledigen, im Kaffeehaus zu servieren? Oder anders gewendet: von wem hoffen die Populisten dieses Landes den Hintern im Altersheim ausgewischt zu bekommen? Es wird aufgrund ihrer eigenen Politik einfach niemand mehr da sein. Immer hieß es: die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Die Wahrheit ist: die Populisten nehmen uns die Arbeitskräfte weg.
Wann ist man zu alt?
Ganz kann ich die Wirtschaftstreibenden selbst in meiner Tirade nicht ausnehmen, denn immer noch ist es älteren Arbeitskräften kaum möglich, eine Anstellung zu finden. Bei der Generation 50+ haben sich die Chancen etwas erhöht, wie mir eine AMS-Beraterin versichert hat, aber mit 60+ sind die Menschen im ökonomischen Ausgedinge. Warum ist das so? Uns fehlen Arbeitskräfte und wir werben nicht um jene, die da sind? Weil sie „zu alt“ sind? Was heißt das eigentlich? Haben wir Angst, dass die Mitarbeiter mit 60 auf die Tastaturen der Firmen-Laptops sabbern und einen Mittagsschlaf nehmen müssen? Alter kann doch auch heißen: fachliches Know-how, Überblick und Gelassenheit bei Problemlösungen, Ruhen in sich selbst. Wer mit 60 für nochmal fünf Jahre einen neuen Job antritt, muss seinem eigenen Ego nichts mehr beweisen. Muss nicht sein, kann aber sein. Wäre doch einen Versuch wert.
Vorausschauend zu handeln fällt uns schwerer als wir glauben
Wir Menschen haben eine unselige Neigung, Dinge zu wissen und nicht danach zu handeln. Wir „wissen“ seit dem Report des Club of Rome 1973 vom Klimawandel, spüren bereits die Auswirkungen in Form von Murenabgängen und Schneemangel und beflegeln heute doch noch die jungen Klimakleber, die sich in ihrer Verzweiflung um ihre eigene Zukunft an die Straßen kleben, während andere sich an Sessel und Meinungen kleben. Wir wussten übrigens auch von Corona. Es gibt einen „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ des Deutschen Bundestags, wo das Szenario einer Corona-Pandemie so beschrieben ist, wie es dann zehn Jahre später tatsächlich abgelaufen ist. Es hat damals niemanden interessiert und wir waren wieder einmal überrascht. Vorausschauend zu handeln fällt uns schwerer als wir glauben.
Humanismus hilft
Offenbar funktioniert das mit dem Wissen auch nicht. Wir brauchen zusätzlich etwas anders – etwas, das in Wirtschaft und Politik verpönt ist. In meiner letzten Kolumne habe ich es schon gesagt: Liebe. Wenn wir lieben, müssen wir nicht so viel wissen. Wir handeln tendenziell im Sinne des geliebten Menschen oder der geliebten Sache. Wenn wir uns also darauf einigen könnten, andere Menschen und die Welt, auf der wir leben, zu lieben – oder einfach nur zu mögen, das genügt schon für den Anfang – dann könnten wir eine Lösung für alles zu finden. Humanismus hilft. Das Gegenteil davon hat sich bisher nicht bewährt.