Gaia und ich

Gaia ist bekanntlich der mythologische Name der Erde. Sie ist die Muttergöttin, die alles nährt. Sie ist in Geographie, Geologie, Geomantie, Geodäsie noch zu erkennen. Die Zeitschrift GEO und der Waldviertler Schuhproduzent GEA benennen sich unmittelbar nach ihr. Gaia ist heute noch ein griechischer weiblicher Vorname.

Das Makroskop – mein Gaia-Erlebnis

Als ich Maturant war, hat mir mein Vater „das Makroskop“, ein Buch von Joel de Rosnay gegeben. Eines der ersten Standardwerke der Kybernetik. „Vielleicht verstehst Du das“, meinte er und drückte es mir in die Hand. Das Buch war eines der Werke, die mich geprägt haben. Ich hatte meinen ersten und nachhaltig prägenden Gaia-Kontakt. Die Grundrinzipien des Planeten haben sich mir eingeprägt.

Alles Leben ist aus sechs Grundstoffen aufgebaut. Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor. Alles Leben – Korallenriffe, Wälder, Tiere, Menschen – befindet sich in permanentem Auf- und Umbau innerhalb dieser paar Elementbausteine. Nichts kommt aus dem Weltraum hinzu, es gibt keinen Materialkredit, den wir von anderen Planeten nehmen können. Die Materie hier auf Erden ist ein Set an Bausteinen, das einmal zur Verfügung gestellt wurde und mit dem wir auskommen müssen. Materie wird niemals neu gebildet, sie wird bloß permanent umgebaut. Es ist ewiges Recycling unter den Bedingungen eines Regulationsmechanismus, der die Umwandlungsprozesse so steuert, dass nie irgendwo Mangel herrscht. Dazu gibt es Produzenten (Organismen mit Photosynthese), Konsumenten (Pflanzen- und Fleischfresser, die organische Masse zum Aufbau ihrer eigenen Gewebe brauchen) und Reduzenten (die totes organisches Material zerlegen und somit wieder Grundbausteine herstellen). Produktion und Verbrauch sind aneinander gekoppelt. Jede Änderung in solch einem komplexen Kreislaufsystem setzt Regulationsmechanismen in Gang. Das gilt für Biologie und Ökonomie und alles hier auf Gaia. Sind die Eingriffe massiv, so kommt es zu massiven Rückkoppelungsschleifen. Das System schaukelt sich hoch und strebt unter heftigen Bewegungen nach Ausgleich. Je heftiger diese Ausgleichsbewegungen, umso ungemütlicher für die Menschheit.

Es gibt nicht eins nach dem anderen

Ich habe verstanden, dass alles mit allem verwoben ist. Eine kleine Veränderung hier, kann einen mächtigen Effekt an ganz anderer Stelle verursachen. Es gibt nicht „eins nach dem anderen“. Als Schachspieler hat mir das Bild von Dietrich Dörner gefallen, wonach alle Schachfiguren mit unsichtbaren dünnen Fäden aneinanderhängen und wenn man einen Zug ausführt, sich unvorhersehbar viele andere Figuren auch bewegen und die Stellung plötzlich eine ganz andere ist als man sich ausgerechnet hat. Ich sollte daher vorsichtig und liebevoll sein in allem, was ich tue. Ich sollte einen Beitrag leisten zum Überleben. Das tue ich seither mit dem, was mir gegeben wurde: „Wenn die Welt im Lärm untergeht, dann stell ich mich ihr entgegen mit einem Bleistiftspitzer und einem Bleistift, und ich spitze und spitze diesen Bleistift, um sie zu übertönen.“ (Peter Handke)

Frauen sind von Gaia. Männer auch.

Darum schreibe ich über die Liebe und über das gute Leben. Darum habe ich eine Frau an meiner Seite, die eine Gaia-Akademie gegründet hat, wo es um Leben und Wirtschaften im Einklang mit der Natur geht. Nein, Frauen sind nicht von Venus und Männer nicht vom Mars. Wir alle sind von Gaia. Wir müssen ein- und ausatmen, wir müssen essen und trinken und ausscheiden, wir müssen schlafen, um wach sein zu können.

Gilgamesh – das Problem der Männer mit Gaia

Gilgamesh und sein Freund Enkidu töten im Zedernwald den Waldgeist Chuwawa, der unter dem Schutz des Gottes Enlil steht. Gilgamesh fällt die Zedern, um daraus Stadtmauern anzufertigen. Die beiden töten schließlich auch den Himmelsstier. Es ist den beiden offenbar ein großes Verlangen, sich über althergebrachte Gesetze zu erheben. Die Götter lassen zur Strafe Enkidu an einem Fieber sterben. Da wird Gilgamesh sich seiner Sterblichkeit bewusst und er will unsterblich werden.

Wir können das Gilgamesh-Epos (3. Jahrtausend v.u.Z.) als Auflehnung des Menschen gegen die unbezwingbare Natur lesen. Vor den Göttern als Abbilder der Natur hat man Angst und begegnet ihnen mit Apathie und formelhaften Opferritualen. Geliebt wird hier nicht. Gilgamesh als „erster Kulturheld“ (Raoul Schrott) lehnt sich auf. Er will keine Angst haben, er will nicht unterworfen sein. Es ist der Beginn von Zivilisation. Zugleich ist „das Epos (auch) die Geschichte eines unwissenden, der alle möglichen Fehler macht, weil niemand sich erinnert, wie man den Göttern dienen und im Einklang mit der (…) Erde leben kann.“ (Philipp Blom in: „Unterwerfung“)

Dieses Dilemma wird ab da konstituierend für die Menschheit. Und für die Männer, die nicht nur die Erde, sondern nach und nach auch gleich den zweiten Teil der Menschheit – die Frauen – unterwerfen.

Naturbeherrschung – eine mythologische Atombombe

„Der biblische Gedanke der Naturbeherrschung war so etwas wie eine mythologische Atombombe. Die Bibel des einzigen Gottes kennt nur eine tote Erde, …, die unbesetzt, ohne eigenen Willen und ohne Macht nur darauf wartet, unterworfen, gepflügt, besessen, verkauft, penetriert und befruchtet, gekauft und verkauft zu werden. Der Mensch (…) ist Herr über die Schöpfung.“ (Philipp Blom). Bis wir erkennen: Über Gaia zu siegen (ein männlicher Allmachts- und Albtraum), heißt alles verlieren.

Deus sive natura (Gott bzw. die Natur)

Das Makroskop, das Gilgamesh-Epos, mein unstillbares Misstrauen gegen die Bibel – das ist meine persönliche Gaia-Geschichte. Ich bin über alle dem kein Naturmensch geworden, der hinaus muss in die Wälder, um dort zu sich zu kommen. Ich bin vielmehr in Bücher und in mich selbst hineingekrochen und habe Gaia inwendig verstanden. Ich habe den Gott Spinozas, jenes „Deus sive Natura“, jene frei aus sich selbst tätige, in sich selbst seiende und durch sich selbst zu begreifende Natur. Ohne jene Angst, die Gilgamesh noch stellvertretend für die Menschheit überwinden musste.

Heute geht es für uns alle darum, unser Verhältnis zur Natur neu zu bestimmen. In allem, was wir tun, im Privaten, im Ökonomischen und Politischen. Dazu ein abschließender neo-mythologischer Gedanke.

Männer atmen die Welt durch die Frauen

Die Haltung eines Mannes gegenüber Frauen spiegelt seine Einstellung zur Welt und zum Leben. Daher sollte ein Mann die Frauen ehren. Alle Frauen, nicht nur die eigene. Eine ruhige, natürliche Demut vor dem Lebensspendenden hilft dem Mann, dem Leben an sich freundlicher zu begegnen. Es hilft dem Mann, sich selbst zu respektieren. Die hehrste Aufgabe des Mannes, der ja nicht selbst Leben spenden kann, ist es, Leben zu schützen. Das gibt der männlichen Energie ihren Sinn.

Die Frau wiederum darf sich erinnern, dass sie menschliche Repräsentantin von Gaia ist. Spirituell gesprochen sollte sie ihr göttliches Selbst annehmen und es verkörpern. Pragmatisch gesprochen geht es darum, die Energie des Behütens, Kooperierens und Kommunizierens zu kultivieren. Es sind Qualitäten, die wiedererinnert werden wollen. Dann werden sich Gaia und die Männer wieder ineinander verlieben.