Der Erfolg der griechischen Antike beruhte auf der Kombination von Geist und Ekstase. Seien wir endlich wieder maßlos! Erlauben wir uns die Wiederaufnahme eines ekstatischen Lebensgefühls (2015)
Wer wagt es heute schon, sein Leben als ekstatisches Ereignis zu verstehen? Wir haben keine Kultur des Außersichgeratens und sind politisch und religiös mit einem Ekstaseverbot belegt. Der Zustand der Euphorie bleibt so Auserwählten vorbehalten, die im Bereich der Kunst, der Religion oder des Wahnsinns anzutreffen sind. Selbst die harmlose Freude muss sich rechtfertigen. Klaus Kobjoll, Inhaber des nachhaltig geführten Hotels Schindlerhof in Nürnberg, erzählte mir, dass er vor 20 Jahren für versponnen und esoterisch angesehen worden ist, weil er Wert darauf legte, dass seine MitarbeiterInnen „Spaß und Freude“ haben. Wo kommen wir da bitte hin?
Genau dorthin, wo wir jetzt sind. Wir sind durchrationalisiert und vergeistigt, glauben beharrlich an die Vernunft und halten Veränderung für eine reine Rechenaufgabe. Doch alles, was man sich ausrechnen kann, gibt es schon. Das Neue ist aber unberechenbar.
Wenn wir uns den Erfolg der viel bewunderten griechischen Antike anschauen – bekanntlich Wiege der abendländischen Kultur – werden wir die Entdeckung machen, dass Vernunft nicht alles ist. „Die Griechen erkannten am Phänomen der Ekstase, dass die Seele [..] sich in ihrer wahren Natur nur ‚außerhalb des Leibes’ offenbaren kann“, analysierte Bertrand Russell und stellte fest, dass die Verbindung von Leidenschaft und Verstand die Größe der griechischen Antike ausmachte. „Keines von beiden allein hätte die Welt für alle Zukunft so verwandeln können, wie sie es im Verein taten.“ Die alten Griechen hatten wohl den epikuräischen Grundsatz des Maßhaltens, waren aber „unmäßig in allem – im reinen Denken, in der Dichtkunst, in der Religion und in der Sünde.“ (Russell). Das Miteinander von Philosophie und bacchantischen Festen war das Erfolgsgeheimnis.
Die Fähigkeit zur Ekstase ist ein biologisches Geschenk, das uns Menschen gegeben wurde. Wir können die Grenzen zwischen Außenwelt und Ich aufheben. Wir können Visionen haben. Tiere können das nicht. Nur wer Visionen hat, kann sich „Unglaubliches“ vorstellen und nur wer sich Unglaubliches vorstellen kann, kann es auch erreichen. Ökonomisch, politisch, … in jeder Beziehung. Ich plädiere für die Wiederaufnahme eines ekstatischen Lebensgefühls und das Wagnis, das Außer-sich-Geraten wieder als Kulturgut zu pflegen. Auch die Raupe wird nur zum Schmetterling, wenn sie außer sich gerät.