Trump und die Liebe

(2017) Es gibt eine weltweite Tendenz hin zu autoritären, reaktionären Parteien. Und zwar genau dort, wo man sie überwunden glaubte – in den USA und Europa. Amerika hat mit Donald Trump ein zur Kenntlichkeit verzerrtes Vorzeigeexemplar des Populismus an die Macht gehievt. Ich möchte das zum Anlass für folgende Fragen nehmen:

Warum nehmen Leute ihr demokratisches Wahlrecht in Kauf, um anti-demokratische Kräfte zu wählen? Liegt es an den Leuten? Liegt es an der Demokratie? Woran liegt es?

Was wollen die WählerInnen?

Trump also. Ein Mann, über den etwa Bernie Sanders sagt, er sei „krankhafter Lügner“. Man möge ihn „ernst nehmen, aber nicht buchstäblich“, wie verschiedene Medien seit Monaten meinen. Währenddessen setzt Trump buchstäblich um, was er gesagt hat. Da gibt es keine Irrtümer. Er meint alles ganz genau so wie er es gesagt hat. Trump denkt nicht in Metaphern und handelt nicht rational. Schon gar nicht handelt er demokratisch. Er hat es unverblümt auf Einrichtungen der Demokratie und die Gewaltentrennung abgesehen. Regieren per kaiserlichem Dekret, Verächtlichmachung von unabhängigen Richtern, anderen Glaubensrichtungen, Frauen sowieso, ein von ihm ausgerufener Krieg gegen die Medien. „Die Medien sollen die Klappe halten“, ließ er über seinen Sprecher ausrichten. Sie stören in seinem Umgang mit „alternativen Fakten“.

Ich habe mit einem Deutschen konferiert, der schon lange in China lebt, und wollte wissen, wie denn das China, das er kennt, auf Trump reagiert. In seinem Umfeld würde Trump als „normal“ wahrgenommen. Endlich ist da jemand an der Spitze eines westlichen Staates, den die Chinesen verstehen können. Jemand, der sich machtvoll gibt und die Medien einschränkt. Das kennt man. Soweit ist es also gekommen mit der demokratischen Vorbildwirkung, die wir uns in Amerika und Europa gerne angemaßt haben. Wir geben die Demokratie auf und machen es jetzt autokratischen Regimen nach. Wir nutzen die Demokratie, um wieder ein bisschen Absolutismus auszuprobieren. Der-da-oben wird es Denen-da-oben schon zeigen.

Trump macht ja dankenswerterweise aus seiner Auffassung von Macht kein Hehl. Er installiert seine persönliche Kleptokratie rasch und öffentlich. Das Weiße Haus wird mit der Famile besetzt, die Pressesprecherin ruft zum Kauf der Modemarke von Trumps Tochter auf. „Machtmissbrauch“, ächzt die Presse und viele Populisten in Europa haben schon feuchte Zukunftsträume.

Die spannende Frage, die sich nun auftut, lautet: warum wählen Menschen Leute wie Trump? Warum nehmen wir unser demokratisches Wahlrecht wahr, um anti-demokratische Kräfte zu stärken? Oder noch präziser: warum wählen wir gegen unser Wahlrecht? Marine Le Pen und Donald Trump, Geert Wilders und Erdogan sind doch nicht die Eltern, die wir uns immer gewünscht haben. Egomanisch, brutal, wohl schnell zur Hand, wenn es um Züchtigung geht. Denken wir denn ernsthaft, dass wir nicht zu denen gehören werden, die gezüchtigt werden? Immer nur die anderen? Der Nachbar nebenan und diese komischen Menschen, die zwei Türen weiter wohnen?

Warum tun wir das? Warum nutzen wir unsere Stimme, um uns selbst mundtot zu machen?

Sind die WählerInnen von Sinnen? Es gibt Professoren unter ihnen, Ärzte und Anwälte; in Frankreich ist die Front National längst im Bürgertum angekommen. Früher, ja früher – da waren es die „einfachen Leute“, die Zukurzgekommenen. Man meint sie zu kennen und „zu wissen, dass sie sich billig kleiden, billig ernähren und ihren Kindern billig klingende Vornamen geben.“, wie es in einem Aritkel der deutschen „Zeit“ heißt, „viele Menschen, die heute Anhänger der Rechtspopulisten sind, haben sich schon vor Jahren von der Demokratie abgewandt. Der Anteil der Nichtwähler stieg und stieg. Die Demokratie hat es nur nicht so richtig gemerkt, jede Wahl hatte ja trotzdem einen Sieger. Einen Präsidenten, der seinen zahlreichen Unterstützern dankte. Einen Premierminister, der sich als Mann des Volkes fühlte. Eine deutsche Bundeskanzlerin, die sich in dem Glauben bestätigt sah, die Stimmung im Land zu erspüren. Die Demokratie erschien derart selbstverständlich, dass die meisten Politiker, Wissenschaftler und Journalisten nicht mehr über sie nachdachten, jedenfalls nicht grundsätzlich.“

Nachdenken über Demokratie.

In der Nachkriegszeit haben Menschen den Schutt weggeräumt und einige von ihnen sind Politiker geworden. Es waren Menschen, die im KZ gesessen sind, dasselbe Leid und Elend erfahren hatten wie alle anderen. Die einen räumten den Schutt von der Straße weg, die anderen den politischen Schutt. Es war eins und ein Einklang. Das Volk fühlte sich repräsentiert. Die Nachkriegspolitik hatte eine einfache und klare Vision – Wohlstand für alle! Das konnte jeder verstehen, jeder wollte das und jeder arbeitete daran. Das erklärt die hohe Akzeptanz von Bruno Kreisky. Er machte glaubwürdige Wohlstandspolitik und wusste (anfangs) noch die Menschen auf seiner Seite.

Ziel erreicht. Was nun?

Dann ist allerdings etwas Unerwartetes passiert: das Ziel wurde erreicht! Wohlstand für alle war da! Es war spürbar! Ende der 70er Jahre hatte sich die große politische Vision erfüllt. Und niemand war da, der die Zielfahne hob. Niemand, der sagte: „He, wir haben es geschafft. Lasst uns feiern.“ Da war kein großes Fest des Dankes und der Freude. Und da war auch niemand, der dann gesagt hätte: „So, was machen wir jetzt?“

Wenn man ein Ziel erreicht und am Ziel nicht stehenbleibt und innehält, dann entfernt man sich naturgemäß wieder vom Ziel.

Also kamen die 80er Jahre, das Jahrzehnt der Gier. Wallstreet, Börsenboom, Marktradikalismus. Nachdem es kein kollektives Ziel mehr gab, blieb nur das Ich. Ich, ich, ich. Die 80er Jahre waren die Dekade des Egoismus, der sich dann in den 90er Jahren zu einem weniger derben Hedonismus abgeschliffen hat. Immer noch war niemand da, der eine Vision für alle formulieren konnte. Banker übernahmen die Politik. Die Politik wurde slick und ein abgehobener Selbstläufer. Der erste Repräsentant der Slickness und Ego-Politik in Österreich war Hannes Androsch. Jung, smart, mein-ist-die-Welt. Es kamen andere. Das Volk fühlte sich nicht mehr repräsentiert.

Als logisches Ergebnis von 20 Jahren ungezügelter Egomanie kamen die Finanzkrisen. New Economy Crash 2001, Lehmann Bros 2008, die Euro-Krise, und fast alle Parteien in fast allen westlichen Industrieländern waren sich einig: Banken müssen gerettet werden, – mit Steuergeld.

 Es macht keinen Unterschied, wen man wählt

„Ich habe rechts gewählt und links gewählt. Es hat keinen Unterschied gemacht. Deswegen bin ich hier“, zitiert die deutsche „Zeit“ einen „einfachen Mann“, der bei einer Kundgebung von Rechtsradikalen in Leipzig mitmachte. Das scheint mit ein Schlüsselsatz zu sein. Die Menschen wählen und haben das Gefühl, dass es völlig egal ist. Sie fühlen sich nicht mehr repräsentiert.

Repräsentation

Repräsentation. Das ist eines der Schlüsselworte der Demokratie. Ich wähle Repräsentanten, also jemanden, der mich in meinem So-Sein im Parlament vertritt. Wenn es aber keinen Unterschied macht, wen ich wähle, dann wähle ich immer extremer, bis sich endlich etwas tut. Immer noch nicht? Dann eben noch extremer. Das ist die Logik der Radikalisierung. Die Bevölkerung fühlt sich nicht mehr repräsentiert. Weder im Parlament, noch in den Medien. Wozu also die Meinungsfreiheit oder die Pressefreiheit hochhalten, wenn die Repräsentanten dieser Freiheit meine Meinung nicht wahrnehmen und sich nicht darum kümmern? Dann also weg mit dieser scheinheiligen Meinungsfreiheit und Pressefreiheit! Darum schreien heute so verdächtig wenig, wenn Trump wütet. Schauen wir uns das doch einmal an, was passiert, wenn ein Wahnsinniger, dem ich völlig egal bin, gegen die Medien, denen ich auch völlig egal bin, in’s Feld zieht, und umgekehrt.

Rückbesinnung der Medien

Es ist eine Eruption, die wirkt. Zumindest bei den JournalistInnen. Amerikanische und deutsche Medien betreiben plötzlich Besinnungsarbeit. Sie fragen: wie konnte es passieren, dass wir überhaupt nicht mehr wissen, was die Leute denken? Wieso dachten wir die letzten Jahre, dass wir es wissen? Reportagen über „das andere Amerika“ nehmen zu. Die deutsche Zeit hat eine interessante Initiative gestartet. „Wir erkunden Deutschland noch einmal ganz neu“, propagiert sie unter dem Titel #D17 und beginnt mit Reportagen, welche dem Volk auf’s Maul schauen und in die unbeleuchteten Winkel der Republik leuchten sollen. „Wir haben etwas gelernt: von Trumps Wahl, vom Brexit, von der neuen Gefahr von Desinformation und Propaganda“, hoffen die JournalistInnen des Blattes. >> http://www.zeit.de/thema/d17

Wie Demokratie gemeint war

Und wie sieht die Besinnungsarbeit der Politik aus? Gibt es Anzeichen für ähnliche Initiativen?

Machen wir einen Sprung in’s Grundsätzliche. Dorthin, wo unsere Demokratie, so wie wir sie kennen, faul ist. PolitikerInnen heute können heute endlos und bis zur Selbstaufgabe um Repräsentation ringen, es wird ihnen mit den herkömmlichen Mitteln der Parteiprogramme und Wahlkampfreden nicht mehr gelingen. Dazu ist die Bevölkerung viel zu fragmentiert. Die Menschen haben ihre demokratische Freiheit ernst genommen und baden heute in unzähligen Meinungs- und Lebensbiotopen, die in ihrer Vielfalt und Uneinheitlichkeit gar nicht mehr repräsentiert werden können – von keiner Partei, keinem Parteiprogramm und keinem Politiker.

Die repräsentative Demokratie war auch niemals so gedacht, wie wir sie heute kennen – als Spielplatz von BerufspolitikerInnen.

Berufspolitiker! Ein unvorstellbarer Zustand für die alten Griechen, welche bekanntlich die Demokratie „erfunden“ haben. Kehren wir in das 4. Jahrhundert zurück und hören wir Aristoteles: „So gilt es, will ich sagen, für demokratisch, dass die Besetzung der Ämter durch das Los geschieht, und für oligarchisch, dass sie durch Wahl erfolgt.“ Mitte des 18. Jahrhunderts wiederholte Montesquieu diesen Gedanken: „Wahl durch Los entspricht der Natur der Demokratie, Wahl durch Abstimmung der Natur der Aristokratie.“

Werden die Ämter durch das Los besetzt, anstatt durch Wahlen, findet Repräsentation statt. Ich selbst oder meine Nachbarin haben die Chance, gehört zu werden und wirksam zu werden. Ist der Job erfüllt, bestimmt das Los über die Zusammensetzung des nächsten Gremiums für die nächste Aufgabe. Der Rat der 500 im Alten Athen ist per Los bestimmt worden, nicht durch Wahl. So hatte jeder irgendwann einmal irgendein politisches Amt inne. Das Los sorgte für Repräsentation und machte alle gleich. „In jeder wahren Demokratie ist ein Amt kein Vorteil, sondern eine drückende Last, die man gerechterweise nicht dem einen mehr als dem anderen auferlegen darf. Das Gesetz allein darf sie dem auferlegen, auf den das Los fällt“, meinte auch Rousseau.

Unrealistische Nostalgie? Nicht unbedingt.

Wiederentdeckung des Losverfahrens

In Bregenz wurde vor Jahren per Losverfahren ein Dutzend Menschen – Studentinnen, Arbeitslose, Anwälte, Kindergärtnerinnen – aus dem Melderegister gezogen, welchen die Aufgabe zuteil wurde, das bestmögliche architektonische Konzept für die Umgestaltung des Zugangs zum Bodensee zu küren. Die Architekten waren teils unangenehm berührt, dass sie ihre Arbeiten einem wild zusammengewürfelten Gremium aus „einfachen Leuten“ präsentieren mussten. Doch siehe da – die einfachen Leute hatten einen einfachen, geraden Blick. Sie bogen das architektonische Konzept so zurecht, dass es für die BregenzerInnen passte.

Malahide, Irland, Jänner 2017. 99 BürgerInnen des Landes sind in das Grand Hotel angereist. Nicht um Urlaub zu machen, sondern auf Einladung des Staates. 99 Menschen, per Los bestimmt. Der Staat ließ sie über die in Irland heikle Frage diskutieren Soll Abtreibung legal werden? Irland spürte: die Realität hatte mit dem katholischen Fundamentalismus nichts mehr zu tun. Doch zugleich fürchtet das Parlament die Abstrafung durch genau diese Bevölkerungsgruppe. Jetzt werden 99 ganz normale Iren und Irinnen ein Jahr lang regelmäßig zusammentreffen, um das Thema zu erörtern und dann dem Parlament eine Meinung des Volkes vorzulegen.

Das hier skizzierte Verfahren nennt sich „Bürgerbeteiligung“. Es ist ein Repräsentationsverfahren, das die Berufspolitik jetzt zaghaft, der allgemeinen demokratischen Not gehorchend, beginnt, aus dem Ärmel zu ziehen. Wesentlich an der Bürgerbeteiligung ist, dass „informierte Entscheidungen“ getroffen werden und die Stimme der Menschen Würde bekommt. Anders als bei einem Referendum oder einer Volksbefragung, welche bloß Kanäle für aufgestaute Wut sind.

Wiederentdeckung der Liebe

Ein zweites Manko der heutigen Demokratie ist ihr Mangel an Liebe. Die tiefste Sehnsucht der Menschen ist die Liebe. Sie wollen lieben und geliebt werden. In diesem Grundbedürfnis werden sie von der Politik nicht repräsentert. Nirgendwo, nicht im kleinsten Abschnitt der Politik ist von Liebe die Rede. Wenn im politischen Diskurs heute von Liebe die Rede ist, dann sind die Affären der (männlichen) Staatsoberhäupter gemeint, nichts sonst.

Das einzige Angebot machen die Populisten, indem sie die Kehrseite der Liebe propagieren – den Hass. Politik hieße in Trumps Amerika bloß noch zu definieren, „wen wir gerade hassen sollen“, wie Bernie Sanders schockiert anmerkt. Wenigstens der Hass. Wenn schon die Liebe nicht abgebildet wird, dann bleibt wenigstens die Kehrseite als stärkste verfügbare Emotion.

Trump und die Liebe

Über Donald Trump gibt es derzeit viel Diagnosen. Er habe eine narzistische Persönlichkeitsstörung, er habe die Aufmerksamkeitsspanne eines Dreijährigen, etc. Ich möchte eine Diagnose anschließen: Trump will, wie jeder Mensch, geliebt werden. Und es gibt bei diesem 70jährigen Mann einen Mangel, aus dem er kein Hehl macht.

Wozu sonst sollte er trotzig und entgegen allen Tatsachen darum ringen, dass bei seiner Inauguration die meisten Menschen überhaupt anwesend waren und dass er die Wahl mit der größten Zustimmung seit Ronald Reagan gewonnen habe (eine Behauptung von ihm auf einer Pressekonferenz am 17.2., die sofort von einem Journalisten wiederlegt worden ist). Und übrigens hat bei seiner Angelobung die Sonne gescheint. Eine bizarre Behauptung Trumps, denn tatsächlich hat es geregnet.

Wozu solche trotzigen Gefechte um Anerkenung, wenn nicht aus unerfüllter Liebe? Alleine die Art und Weise, wie er Hände schüttelt, gerät zur Karikatur (https://www.youtube.com/watch?list=RD-SSclEtLXJ8&v=c4kiiHNMkvs). Er zieht jede Hand mit großer Gewalt an sich und tätschelt sie.

Es lohnt jedenfalls, Trump zu beobachten und zugleich Einkehr bei sich selbst zu halten. Repräsentiert mich Trump in all seiner mangelnden Empathie und Rücksichtslosigkeit, in seinem Trotz und seiner Wut? Ist es das, was ich bin? Ist es das, was ich will? Was ich wirklich wirklich will?

Die Schauspielerin Susan Sarandon meinte: “The good thing about this horrible thing of having Trump is that people are awake and they’re participating and they’re having town meetings and they’re going to people’s doorsteps and saying, ‘What have you done?“ – and what will you do?