Liebe hat unbestreitbar Vorteile. Im Privaten wird das niemand leugnen. Ungewohnt ist es, die Liebe und ihre Kraft in die öffentliche Lebensgestaltung zu holen. Zum Beispiel in die Ökonomie. Dabei gehört sie genau dort hin. Denn dort, wo die Liebe nicht vorkommt, erleben wir humanitäre Desaster. Die Liebe ist ja für den Menschen gemacht, er hat sie bloß noch nicht angewendet. Er hat mit ihr herumgespielt wie mit einem Steckenpferd und es dann im Kinderzimmer seiner Entwicklung liegen gelassen, anstatt zu verstehen, dass sie für das gesamte Leben gedacht war. Das wichtigste wachstumsfördernde Mittel liegt also vergessen zuhause.
Ich nehme die Ökonomie an der Hand, die tobend und kreischend lebensferne Spiele wie „ewiges Wachstum“, „Konkurrenzkampf“ oder „wenn ich gewinne, verliert jemand anderer“, spielt. Ich zeige der Ökonomie die Liebe, damit sie sich beruhigt und ihre verlorene Mutter erkennt.
In einer Kolumne über eine Wirtschaft der Liebe im Magazin „die Wirtschaft“ habe ich einige Vorteile der Liebe für die Wirtschaft skizziert. Hier nun eine Ergänzung dazu.
Der große Vorteil des Liebens
1/Liebe sorgt für Verbundenheit
Liebe holt den einzelnen Menschen in die Gemeinschaft des Lebens. Einzeln zu bleiben, völlig unangebunden – das ist der Tod für das soziale Wesen Mensch. Das belegt die bekannte von Pater Salimbene (1285) aufgezeichnete Geschichte von Kaiser Friedrich II, der die Idee hatte, die Ursprache des Menschen experimentell herauszufinden, indem er Kinder von Geburt an von Ammen aufziehen ließ und anordnete, in Gegenwart der Babys nicht zu sprechen und sie über die Erfüllung der notwendigen Bedürfnisse hinaus auch nicht zu liebkosen. So hoffte der Kaiser herauszufinden, in welcher Sprache denn die Kinder von sich zu brabbeln und reden beginnen würden – griechisch, latein? Am ehesten tippte er auf hebräisch. Die Frage blieb unbeantwortet, denn die Kinder starben alle.
Der Mensch ist auf Gedeih und Verderb auf Zuwendung angewiesen. Er braucht Liebe und Kommunikation. Auch die Kommunikation dient vorzugsweise der Herstellung von Beziehung, wie der österreichische Therapeut Paul Watzlawick feststellte. Er zeigte in einem seiner bekannten Axiome, dass menschliche Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt aufweist. Wenn wir etwas sagen, so teilen wir also einen Inhalt mit. Aber nicht nur. Viel wichtiger ist der in jedem Sprechakt enthaltene Beziehungsaspekt, der definiert, wie wir in Bezug zum anderen Menschen, mit dem wir gerade sprechen, stehen. Dieser Beziehungsaspekt dominiert laut Watzlawick jede Kommunikation. Es geht uns also auch in der Kommunikation mehr um Beziehung und weniger um Information. Es geht um einen „nimmer enden wollenden Prozess des Anbietens, Annehmens, Verwerfens, Entwertens oder Neuformulieren von Beziehungsdefinitionen. (…) Von einem anderen verstanden zu sein bedeutet, dass der andere unsere eigene Sicht der zwischenmenschlichen Wirklichkeit mit uns teilt, sie also gewissermaßen ratifiziert.“ (Watzlawick, Interaktion, S.20).
Das ist wohl der Grund, warum Verliebte die Neigung haben, „das geliebte Wesen mit verhaltener Erregung und ausgiebig über seine Liebe, es selbst, ihn selbst und sie beide in Kenntnis zu setzen“, wie der französische Philosoph Roland Barthes so hübsch anmerkt. Liebende erklären einander unendlich die Liebe, weil es eben nicht um Information geht – die wäre ja ausreichend übermittelt – sondern um „Ratifizierung der Beziehung“, sozusagen um verbales Händchenhalten.
Es ist nicht anders in beruflichem Umfeld. Permanent arbeiten Menschen an ihren wechselseitigen Beziehungsdefinitionen, senden Signale der Zustimmung und Aufforderungen, anerkannt zu werden. Scheinbar geht es um Jahresberichte, Baupläne und Jahresstrategien. De facto ist es ein großes Ringen um Liebe. Unsere Kommunikationsstruktur setzt auf Beziehung und vollzieht damit den Aufbau der Welt nach.
Wir haben nicht nur Beziehung zu anderen Menschen, sondern zur gesamten Mitwelt. Da gibt es Pflanzen, Tiere, Luft, Erde und auch hier gestalten und definieren wir ununterbrochen unsere Beziehung. Die Natur macht uns tagtäglich eine Liebeserklärung. Sie schenkt uns das, was wir brauchen und lädt uns ein, ihr auch etwas zu geben. Oder besser gesagt: nicht alles zu nehmen. Denn die Art, wie wir derzeit von der Natur nehmen, wird vielfach als Ausbeutung und Vernichtung beschrieben. Das ist kein sehr sympathisches und auch kein intelligentes Beziehungsangebot, das wir der Natur hier machen. Es widerspricht gänzlich unserem auf Kooperation aufgebauten menschlichen Wesen.
Wenn Kleinstkinder an mangelnder Zuwendung sterben, so dürfen wir annehmen, dass es bei Erwachsenen nicht anders ist. Der Körper älterer Menschen ist wohl stabiler, aber die Seele stirbt. Wir wissen, dass mangelnde Liebe zu Psychosen, Ängsten und Suchtverhalten führt. Der Effekt ist immer derselbe. Fehlt die Liebe, fehlt das Leben. Wir Menschen sind es, die der Natur die Liebe entzogen haben. Die Natur hält ihr Angebot, mit uns in Symbiose zu leben aufrecht. Wir müssen nur „ja“ dazu sagen. Dieses Leben in Verbundenheit mit anderen Menschen und der Mitwelt ist keine Privatangelegenheit. Sie ist eine soziale, politische, ökonomische Entscheidung von weitreichendem Ausmaß. Der einzelne Mensch ist ja wohlgesonnen und liebt die Natur. Als Individuen sind wir gerne in jenen Bergen und an jenen Seen und Wiesen, die wir als Kollektiv vernichten. Man könnte also bei der Umweltvernichtung von einem gewissen Maß an Schwarmdummheit sprechen. Die Ökonomie hat den Auftrag, jene Verbundenheit zu garantieren, die uns in physischem und psychischem Bereich das Leben sichert. Andernfalls lässt sich nicht von Bedürfniserfüllung reden, was ja angeblich das Ziel von Ökonomie ist.
Wirtschaftsbetriebe sind von Menschen erdachte und von Menschen mit Leben erfüllte Systeme, die menschlich agieren, solange sie noch von Menschen und nicht von Algorithmen gesteuert werden. Unternehmen sind Subjekte mit einem eigenen So-sein, das sich aus der Summe aller menschlichen Interaktionen zusammensetzt. Darum haben Firmen ihren eigenen Charakter, ihre eigene Kultur. Da Menschen als liebende Wesen gedacht sind, trägt eine gesunde, menschengerechte Firmenkultur immer die Liebe in sich. Wenn ich also von einer Wirtschaft der Liebe rede, so meine ich eine Wirtschaft der Verbundenheit.
2/Liebe ist nachhaltig
Man kann auch aus Angst und Panik die richtigen Dinge tun, hört damit aber auf, sobald Angst und Panik erloschen sind. Auch rechnerisches Kalkül kann Menschen dazu bringen, „gut“ zu sein, so wie der zynische Vicomte de Valmont im Roman „Gefährliche Liebschaften“ ein bisschen Almosen an Arme gibt, weil er wusste, dass er von den Spionen der von ihm Angebeteten beobachtet wird. Er war also ein guter Mensch, weil er Publikum hatte und sich die Eroberung der jungen Schönheit ausrechnete. Im Herzen waren ihm die armen Menschen alles egal. Somit war er nicht liebend sondern zynisch.
Das rührt an der großen ethischen Frage, ob es auf das Motiv oder das Ergebnis einer Handlung ankommt. Man kann aus edlen Motiven ein schlechtes Ergebnis erzielen sowie aus unredlichen Motiven heraus ein sehr gutes. Was ist besser? Gewiss kann man sagen, dass die paar Münzen des Vicomte de Valmont für die Beschenkten sehr erfreulich waren, im Gesamten seiner Absichten aber bloß ein klitzekleines Mittel zu einem großen unredlichen Zweck darstellten.
Der Zynismus ist mieses Handeln bei vollem Bewusstsein und eine bewusste Absage an jeglichen ethischen Kodex. Nichts fürchten Leute wie Valmont mehr als eine Welt, die aus ihresgleichen bestünde. Es wäre eine Welt, die sich in Betrug und Krieg binnen kürzester Zeit selbst auffrisst. Lieblosigkeit führt in den Tod. Die Paradoxie besteht darin, dass der Zyniker und Green Washer das weiß. Er braucht die Nachhaltigkeitsbestrebungen anderer, um selbst Ressourcen vernichten zu können.
Wer aus Liebe handelt, erlischt nicht. Wer liebt, handelt dauerhaft. Liebe ist ja auch keine Anstrengung und Mühsal, hat also kaum Reibungsverlust. Lieben dient dem Leben und will es erhalten. Niemand, der seine Kinder liebt, käme auf die Idee, nach dem Nutzen dieser Liebe und seiner Zuwendung zu fragen. Niemand, der die Erde liebt, käme auf die Idee, nach dem Nutzen dieser Liebe zu fragen. Wenn man es erklären muss, ist es schon fragwürdig. Solange man in Liebe ist, handelt man bedingungslos zukunftsorientiert und lebenspendend.
Natürlich kann die Liebe, vor allem in ihrer erotischen Ausprägung, auch erlöschen. Paarbeziehungen werden freiwillig eingegangen und können ebenso freiwillig beendet werden. Die Beziehung zu den Kindern und zur Erde kann aber nicht beendet werden, denn die Kinder bleiben Kinder und die Erde bleibt unser Heimatplanet ein Leben lang. Dass die Liebe enden kann, ändert nichts daran, dass unter dem Dach der Liebe jede Handlung vom Wunsch nach Dauerhaftigkeit durchdrungen ist. Trotz Scheidungsstatistiken lassen sich Menschen niemals davon abbringen, bis in alle Ewigkeit Liebe und Treue zu schwören. Es ist der Liebe zu eigen, die Zeit zu dehnen. Dieser grandiose Umstand lässt uns die berühmten Apfelbäumchen pflanzen, auch wenn die Welt unterginge.
Nichts soll getan werden, um die Kinder zu verletzen. So lautet eine Regel südamerikanischer Indigener. Mehr Regelwerk braucht es gar nicht für ein Miteinander. Wer die Kinder schützt, schützt das Leben. Die nachfolgenden Generationen haben ein Stimmrecht, wenn heute Entscheidungen getroffen werden, so wie wir gerne gehabt hätten, dass wir ein Stimmrecht bei Entscheidungen unserer Vorfahren gehabt hätten. Das heutige unüberschaubare Wuchern an Gesetzestexten in den modernen Gesellschaften zeigt nur vom Fehlen einer einzigen eleganten Regel, die alles klar macht. Liebe ist die Weltformel.
Als Nachhaltigkeitsmanagement und Corporate Social Responsibility aufkamen, war klar, dass es Managementtools sind, die den Nachteil haben, nach Nützlichkeit bewertet zu werden. Tools wendet man, solange sie taugen und gibt sie in die Toolbox zurück, wenn man es nichts mehr bringt. Sie sind also ein Werkzeug von vielen und somit austauschbar. Natürlich hat CSR redliche Gedanken und Normen in den ökonomischen Alltag gebracht, wird aber auch als mühsam erlebt, so wie alles, das man erlernen und laut Anleitung anwenden muss. Es erweckt die verständliche Neigung, die Mühsal auch einmal bleiben und das Tool im Werkzeugkoffer zu lassen.
Nachhaltigkeit muss man erklären. Liebe strebt von sich aus nach Nachhaltigkeit, ohne das je erklären zu müssen. Wer seine Arbeit wirklich liebt, wird in seine Produkte und Dienstleistungen niemals Sollbruchstellen einbauen. Die Liebe versorgt uns mit Ewigkeit. Das ist ihr göttlicher Aspekt. Eine Wirtschaft der Liebe agiert daher bedingungslos nachhaltig.
3/ Liebe ist Selbstliebe
Wer liebt, ist zuallererst mit sich selbst verbunden, spürt sich selbst, nimmt sich selbst wahr und ernst. Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere wahrnehmen und spüren. Wer sich selbst nicht spürt, spürt nichts. Darum haben wir als Kollektiv nicht viel von Menschen, die sich selbst nicht spüren und anderen helfen wollen. Wir haben als Gemeinschaft nicht viel von Menschen, die sich selbst nicht kennen und andere etwas lehren wollen.
Die Forderung, für sich selbst etwas zu tun, wird zum sozialen Auftrag. Über sich nichts herausfinden wollen, müsste ein Karrierehindernis sein. Niemand, der Selbsterforschung und Supervision verweigert, sollte eine Führungsaufgabe in einem Unternehmen bekleiden dürfen. Es ist eine Zumutung für die Belegschaft. Alle Führungsverantwortlichen müssen sich verpflichtend in permanente Supervision begeben. Immerhin nehmen sie massiven Einfluss auf die Lebensrealität zahlreicher MiterabeiterInnen. Wir kämen diese Menschen dazu, dass auf ihnen die ungelösten biographischen Gebrechen einer Führungsperson abgeladen werden? Ich habe selbst zahlreiche Führungskräfte erlebt, die zerstörerisch waren. Sie haben ihre eigenen Traumata ungefiltert an die Belegschaft durchgeschleust und dort für weitere Traumatisierung gesorgt. Es gehört doch wesentlich zur Selbstliebe, mit sich selbst ins Reine zu kommen, und dieser Putzvorgang im Inneren ist eine verpflichtende Führungsaufgabe. Eine Wirtschaft der Liebe braucht selbst-liebende Führungspersonen.
Wirtschaftlich tätig zu sein und nicht zu lieben – eine nicht länger zu duldende Zumutung.