Apathie auf Social Media – gründen wir ein Netzwerk der Zuversicht

Sommer 2021. Auf allen Social Media-Kanälen ist ein – charmant gesprochen – Innehalten festzustellen. Die User liken nichts, interagieren nicht, sind kaum zu Statements zu bewegen – ganz anders als in den Anfängen von Facebook & Co. Die Communities gefallen sich in einem schweigenden Miteinander. Man könnte auch von Passivität sprechen. Eine Ermattung hängt wie eine schwere Wolke über den Online-Kanälen, aus der gerade einmal ein paar lustige Clips zu einem Lächeln und einem Like einladen.

Der Corona-Fundamentalismus

Vielleicht hat Corona dazu einen Beitrag geleistet, insoferne es eine neue Dimension an Fundamentalismus hervorgebracht hat, der sich wie schwarze Suppe in die Online-Kanäle ergossen hat. Fundamentalismus ist aber anstrengend, weil er das verunmöglicht, weswegen Leute auf Social Media-Plattformen sind: Spaß, Information und Austausch. An nichts von diesen Dreien ist dem Fundamentalismus gelegen. Er ist nicht lustig, er will nicht informieren und sich auch nicht austauschen. Er will bloß – gewinnen.

Wie ist es zu diesem Fundamentalismus, dem auch ein gehöriges Maß an Boshaftigkeit innewohnt, gekommen? Warum haben die Menschen die Chance auf Hass und Polarisierung wahrgenommen? Corona und die dazu gehörende politische Stimmungsmacherei haben die Menschen in unterschiedliche Ängste versetzt (siehe dazu mein Text „Das Corona-Angst-Rad“) und Ängste aktivieren das Reptiliengehirn. Da ist Schluss mit lustig. „In den alten Büchern steht, was weise ist“, schreibt Bertold Brecht in seinem Gedicht An die Nachgeborenen, „Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit ohne Furcht verbringen. Auch ohne Gewalt auskommen. (…) Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen. (…) Alles das kann ich nicht: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“

Wettkampf der Identitäten

Die Leute sind von ihren Ängsten tiefer und tiefer in ihre je eigenen Blasen gezogen worden, weg vom Licht des Diskurses, hinein in die Finsternis der Furcht. Und jetzt „die eigene Blase zu verlassen, schafft keinen besseren Wettstreit der Ideen. Stattdessen schafft es einen Wettkampf der Identitäten“, wie der amerikanische Soziologe Chris Bail feststellt.

Die Meinungen zu Corona sind betoniert und zu einem Bestandteil der eigenen Identität geworden. Das Motto lautet „Ich bin meine Meinung!“ (ähnlich falsch wie „Ich bin beine Yacht“, „Ich bin mein Job!“). Jedes Argument gegen die eigene Meinung wird so nicht als Angebot eines Dialogs verstanden, sondern als tödliche Bedrohung meines eigenen fragilen Ich. Menschen „erleben das Heraustreten aus ihrer Blase als Eintritt in einen Krieg, in dem sie eine Seite wählen müssen.“ (Bail). Es ist ja auch so, dass Leute auf Social Media belohnt werden, wenn sie extrem sind. Ein anstachelnder Tweet, der retweetet und geliked oder disliked wird, wird von den Algorithmen als Aktivität belohnt und verstärkt. Ausgewogene Statements verdampfen hingegen ungehört. Bail hat daher vorgeschlagen, Postings in Social Media zu belohnen, die an ganz unterschiedlichen Stellen des Meinungsspektrums hohen Anklang finden. Das ist ehrenwert, aber so einen Algorithmus der Ausgewogenheit gibt es derzeit nicht.

Schaffen wir humane Zellen

Unternehmen und Privatpersonen können sich nun weiterhin von Social Media abwenden oder sie bleiben tapfer unbeirrt sachlich und fröhlich und machen zwischen der Bubble an Fundamentalismus und dem Nebel der Apathie ein Vernetzungsangebot für alle Wohlgesonnenen und Zuversichtlichen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass enkeltaugliche, faire, menschliche Unternehmen, sich gegenseitig vernetzen, teilen und liken, um ein Signal der Gemeinschaft und der Menschlichkeit zu setzen. Um es mit Adorno zu sagen: „Es geht darum, humane Zellen im inhumanen Alltag zu bilden.“