Warum fasten die Leute wieder? Ich habe ein Buch über dieses Warum geschrieben. „Die Philosophie des Fastens“ gibt es jetzt im Buchhandel. Hier ein Interview, das ich dazu der Fastenwelt gegeben habe.
Was ist denn Fasten?
Fasten heißt, etwas nicht zu tun, was man üblicherweise tut. Und dieser Verzicht wird umso spannender und heilsamer, je mehr es um existentielle Sachen geht – wie zum Beispiel das Essen. Man kann ja auch auf etwas verzichten, was nicht wirklich existentiell ist, zum Beispiel auf Eiscreme im nächsten Sommer. Das ist ein nettes Spiel, aber kein Fasten.
Außer man ist verrückt nach Eiscreme.
Dann ist es aber existentiell. Manchmal gaukelt uns der Körper vor, dass wir ohne diesem und jenem nicht leben können. Die Leute gehen ja manchmal auch fasten, um so eine Begierde loszuwerden. Ich hatte schon Leute in Fastenwochen und beim Coaching, die von Schokolade wegkommen wollten, oder von Alkohol und Zigaretten natürlich. Das geht eben nicht von alleine weg. Fasten hilft.
Unter Fasten versteht man gemeinhein: eine Woche oder länger nichts Essen. Bleiben wir beim Essen. Was ist daran heilsam?
Wir brauchen Nahrung zum Leben. Auf etwas zu verzichten, was man ganz ursächlich zum Leben braucht, ist eine Herausforderung. Leute, die noch nie gefastet haben, können sich das gar nicht vorstellen.
Aber es geht.
Und wie das geht. Das ist ja genau die heilsame Erfahrung. „Verzicht nimmt nicht, er gibt“, hat es der Philosoph Martin Heidegger formuliert. Man erkennt: Sieh an, das brauche ich ja gar nicht. Und wenn das für’s Essen gilt, für was könnte das noch alles gelten? Fasten hilft beim Aufräumen. Körperlich, seelisch, geistig. Wie heilsam das Fasten für den Körper ist, wissen mittlerweile fast alle, die sich auch nur am Rande damit beschäftigen. Da hat der Nobelpreis für die Erforschung der Autophagie durch den Japaner Oshumi natürlich sehr geholfen.
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich ausschließlich mit der „Philosophie des Fastens“, also mit der Frage „Warum fasten“? Ich frage jetzt mal: Warum so ein Buch?
Weil „Warum“ so eine spannende Frage ist. Wenn man lange genug „warum“ fragt, kommt man der Wahrheit näher. Es ist ja so, dass Fasten lange Zeit niemanden interessiert hat. Das war bloß eine Sache für kranke Menschen und man tat es, wenn der Arzt es verordnet hat. Heute aber sind die Fastenhäuser voll mit gesunden Menschen. Warum? Weil all diese gesunden Menschen in einem zunehmen anstrengenden Umfeld leben. Sie wollen nicht mehr „schneller, höher, weiter“. Sie brauchen Besinnung. Fasten ist hauptsächlich Sinnsuche. Mit Gewichtsverlust hat es nur nebensächlich zu tun.
Sie empfehlen ja auch „Meinungsfasten“
Ja, gerade jetzt zu Coronazeiten ist das eine gute Fastenübung. Meinungsfasten heißt, das, was man sonst meint, einmal nicht zu meinen. Wie immer beim Fasten geht es darum, das Gewohnte einmal bleiben zu lassen. Das ist sehr, sehr heilsam. Es gibt dem Geist die Chance, sich zu fangen. Der innere Arzt und der innere Therapeut werden aktiviert und renken alles wieder ein. Ohne dass der Fastende darüber Nachdenken oder sonst etwas tun muss. Er muss einfach nur fasten.
Harald Koisser
Die Philosophie des Fastens
Morawa-Verlag 2020
https://www.morawa.at/detail/ISBN-9783991108276/Koisser-Harald/Die-Philosophie-des-Fastens?bpmctrl=bpmrownr.1|foreign.193171-1-0-0
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Foto Harald mit Apfel: Fotostudio Staudigl