„Wir leben sehr demütig“

Die Menschen in Bhutan haben genug zu essen, sie haben Freunde, viel Spaß und keine Angst, etwas verlieren zu können. Harald Koisser im Gespräch mit Dasho Karma Ura, dem Präsidenten des Centre for Bhutan Studies

Sind Sie glücklich?

Aber ja, ich habe keine großen Erwartungen an diesen Tag gehabt, also bin ich glücklich.

Glauben Sie, dass die Leute hier (Anm.: das Gespräch fand in Berlin statt) glücklich sind?

Sie sollten, denn sie haben wunderbare Lebensbedingungen. Das ist eine Mischung aus sichtbaren und unsichtbaren Dingen, psychologische Bedingungen, Beziehung zu Leuten, in der Community, ein Gefühl für Sinn.

Wir sollten, aber es ist nicht so. In industrialisierten Ländern mit „wunderbaren Lebensbedingungen“ leiden die Leute unter Stress, Burn-out, Zukunftsangst.

Ihr solltet Kontrolle über Eure Zeit gewinnen.

Das tun wir ja. Wir schauen andauernd auf die Uhr, auf die Armbanduhr, die Uhr am Armaturenbrett des Autos, am Mobiltelefon. So kontrollieren wir Zeit.

So seht Ihr bloß, dass Ihr keine Zeit habt. Es geht um simple Dinge. Man braucht Zeit für einen gesunden Schlaf, Zeit zum Spazierengehen, Zeit um Leute zu treffen, Zeit um nachzudenken, was am Tag passiert ist. Ob man Geld hat oder nicht: es geht um Zeit! Es ist eine wichtige Ressource, die in jedermans Händen liegt.

Wie ist das in Buthan?

Die Leute haben kein großes Vermögen und keine großen Ziele. Sie machen Dinge, die notwendig sind, wie zB religiöse Aktivität, Zeit in familäre und soziale Angelegenheiten investieren. Man kann das einteilen in wirtschaftliche und unwirtschaftliche Zeit. Für das Unwirtschaftliche braucht man sehr viel Zeit.

Man sagt, Buthan gehört zu den glücklichsten Ländern der Welt.

Wir haben einfach keinen hohen wirtschaftlichen Druck. Wir haben genug zu essen, wir haben Spaß und Freunde. Und keine Angst.

Wieso haben sie keine Angst?

Wir haben keine Angst, etwas verlieren zu können. Was denn auch?

Das ist ja das Problem, das wir hier haben. Wir scheinen eine Menge verlieren zu können.

You have to live the day. Da ist zuviel Angst vor der Zukunft. Ihr müsst Euch überlegen, wieviel Wohlstand man noch überschauen kann.

Ist es gut, nach „mehr“ zu streben?

Aber ja, es ist gut, mehr zu haben. Aber es gibt Limits darin, dieses Mehr zu nutzen. Wieviel können die Sinne ertragen? You can have half of it by looking at nature, nutural things, generate in your head by your own consciousness. Es gibt ein Limit für das, was die Sinne absorbieren können.

Was können wir tun?

Leicht gesagt, schwer getan. Weniger Kleidung, weniger reisen, weniger Autofahren. Das sind die individuellen Optionen, die jedem zugänglich sind. Man kann natürlich auch von staatlicher Stelle aus versuchen – wie auch immer – die Leute, glücklicher zu machen. Dann werden sie in Folge ganz automatisch weniger brauchen, weniger verlangen.

Dann führt der Weg der Wohlfahrtsstaaten offenbar nicht zum Glück. Denn die westlichen Wohlfahrtsstaaten schütten Unmengen von finanziellen Zuwendungen aus, wie mit einer Gießkanne, aber es ist immer zu wenig. Die Leute wollen mehr und jeder hat das Gefühl, zu den Benachteiligten zu gehören. Wie ist denn der Umgang zwischen Regierung and Bevölkerung in Buthan?

Sehr vertrauensvoll. Bis 2006 hatten wir ein Königreich. Seither wird die Regierung demokratisch gewählt. Der König hat seine Funktion zurückgelegt und demokratische Prozesse eingeführt, weil er dachte, das sei besser für das Land, auch im Sinne internationaler Reputation. Die Erfahrung ist heilsam.

Es gab aber auch Vertrauen für die Monarchie?

Sogar viel mehr. Die Leute müssen nun lernen, mit mehr Verantwortung umzugehen. Wir werden sehen, wie es wird. Demokratie ist noch sehr, sehr jung bei uns.

Wie ist die Beziehung zwischen Menschen und Natur?

Wir leben in Buthan sehr demütig. Alles bei uns geschieht manuell, alles kommt direkt von der Natur. So sind wir auch sehr respektvoll zur Natur. Wir glauben an Natur-Götter, es ist heiliges Land. Jeder in Buthan hat Wald vor seinem Fenster. 72 Prozent des Landes bestehen aus Wald. Er ist immer da. Wir stillen unsere Bedürfnisse durch dem Wald. Wald ist Schönheit. Der Wald ist ein Platz für Rückzug und Stille. Die Natur-Erfahrung ist heilsam. Sie führt zu tiefen Gedanken.