Jeder kennt die aktuellen Probleme und sogar schon die Lösungen. Die Frage ist bloß, wann endlich etwas getan wird, meint Jakob von Uexküll, „Possibilist“ und Gründer des Alternativen Nobelpreises. Das Gespräch führte Harald Koisser.
Wir haben soeben ein unglaubliches Stück für Flöte gehört. Der Mann hat mit drei Flöten gleichzeitig hantiert. Braucht es eine ähnliche Virtuosität des Menschen, um jetzt die Welt zu retten?
Das brauchen wir sicher. Das Problem ist nicht, dass es keine Lösungen gibt. Wir haben einfach nicht genug getan in den letzten dreißig Jahren. Wir dachten, das geht mit kleinen Reformen. Jetzt sehen wir, dass wir ein Modell für die Welt entwickelt haben, das nicht funktioniert. Wir sind in diesem Modell gefangen, wie man auch an der weltweiten Diskussion über Gerechtigkeitsfragen sieht. Das Wachstum sollte alles lösen und jetzt sehen wir, da wächst nichts mehr. Wir müssen uns zurückbesinnen auf etwas, was wir vorher hatten. Im Mittelalter gab es riesige Flüchtlingsströme und wir sollten uns ansehen, wie die Menschen damit umgegangen sind. Und dann vergleichen wir das mit unserer heutigen Asylpolitik! Alles was wir jetzt neu erfinden müssen, ist eine Rückbesinnung.
Sind wir zu dieser Virtuosität überhaupt noch fähig? Auf dem einfachen Weg, der uns offen gestanden wäre, haben wir es nicht geschafft.
1989 brach der Kommunismus zusammen und viele Menschen wie Sie und ich wurden plötzlich an den Roten Tisch geholt und hatten plötzlich die politische Macht über ihr Dorf oder ihre Region. Da zeigt sich, wozu Menschen fähig sind. Das erleben wir beim Alternativen Nobelpreis genauso. Das sind „normale“ Menschen, die, wenn sie herausgefordert werden, zeigen, was sie können. Wenn einer unserer Preisträger, ein englischer Architekt, Reden hält, sagt man ihm immer, das würden ordinary people nicht verstehen. Seltsam, sagt er dann, ich treffe nie ordinary people. Alle sind immer so extraordinary. Ich selbst zitiere ja gerne Ernst Bloch: „Der Preis der Freiheit ist die Gefahr, dass der große geschichtliche Augenblick auf ein zu kleines Menschengeschlecht trifft.“ Wenn ich mir die Preisträger des Alternativen Nobelpreises anschaue, weiß ich, dass die Menschheit der Herausforderung gewachsen ist. Ein anderes Leben ist möglich. Ich schaue mir mit Interesse Japan an. Die leben ohne Wachstum und denen geht’s recht gut. Jemand hat mir einmal geantwortet: „Als wir in Schweden ein Null-Wachstum hatten, gab es zugleich 15% Arbeitslosigkeit.“ So sieht unser Modell aus. Kein Wachstum heißt hohe Arbeitslosigkeit, Bürgerkrieg, sozialer Zusammenbruch. Und auf der anderen Seite zeigt sich nun, dass forciertes Wachstum ebenfalls zum Zusammenbruch führt. Wollen wir wirklich glauben, dass wir Menschen nicht intelligent genug sind, eine dritte und bessere Alternative zu entwickeln?
Eine österreichische Tageszeitung hat erst vor kurzem getitelt: Die Wirtschaft wächst wieder, die Krise ist überwunden. Und ich habe mir sagen lassen, dass Deutschland sich heuer auf das höchste Wirtschaftswachstum seit zwanzig Jahren freut. Da ist ja alles bestens.
Jaja, vor dem Zusammenbruch des Kommunismus gab es auch noch die Phase mit Gorbatschow, wo man dachte, das wird schon noch! Wir wissen ganz genau, dass die Wirtschaft auf einer Finanzblase beruht und wenn die nocheinmal platzt, hat der Staat definitiv nicht mehr das Geld, irgendetwas zu retten. Wir wissen, dass die Schulden zunehmen und die Kaufkraft nachlässt. Die Mittelklasse in den USA erlebt soeben, dass der Traum vom Aufstieg ausgeträumt ist. Man kann natürlich immer irgendwo ein paar gute Zahlen hervorheben.
Das beruhigt die Menschen. Besteht nicht die Hoffnung, dass alles so weiterlaufen kann wie bisher?
Das Bankenwesen beruht heute auf staatlichen Garantien. Das ist keine Marktwirtschaft mehr. Die Frage ist, wie lange sich die Staaten das leisten können. Der GAU ist ein Staatsbankrott und davon gab’s viele in der Geschichte. Ökologische Bankrotte sieht man in den Wüsten in Afrika und im Irak. Das waren vor Jahrtausenden die Kornkammern des Römischen Reiches. Ökologische Zusammenbrüche haben größere zeitliche Dimensionen.
Warum ist es so schwierig für die Menschen, das was kommt, zu sehen? Müssen wir wirklich erst, wie ein Burn-out-Patient, am Abgrund stehen, wo man sieht: noch ein Schritt und es geht einfach nicht mehr. Müssen wir diesen Punkt erreichen?
Als es in Schweden eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Atomkraft gab, haben sich viele Leute in Nordschweden beschwert. Die haben gesagt: wir schuften hier den ganzen Tag, es ist lange Dunkel, wir wollen nach Hause kommen und uns ein Fußballspiel ansehen. Wir zahlen viel Steuern, damit jemand diese Entscheidungen trifft. Wir wollen nicht nach Hause kommen und über Atomkraft nachdenken. Die meisten erwarten, dass die Politiker sich um das alles kümmern.
Nun ja, political leadership ist selten.
Helmut Kohl wurde wiedergewählt, nachdem er den Euro eingeführt hat, obwohl vorher die meisten Deutschen gegen den Euro waren. Aber die Menschen haben Vertrauen in die Politik gehabt. Wenn das nicht mehr da ist, dann gibt es auch wenig Zukunftsperspektiven. Vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs war es auch eine Minderheit, die sich um Churchill geschart hat. Die Mehrheit dachte, es wird schon irgendwie so weitergehen, man kann Hitler schon besänftigen. Weder die Medien noch die Märkte haben kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs dieses Ereignis vorausgesehen. Im Gegenteil hat man die Schwarzmaler lächerlich gemacht. Und wenn da heute keine Churchills und Roosevelts kommen, haben wir ein Problem. Wir haben ja lokal viele Menschen, die bereits handeln, aber es geht darum, die Rahmenbedingungen zu ändern. Die mangelnde politische Weitsicht ist da sehr erschreckend.
Kann man der immer kurzfristiger agierenden Politik etwas entgegensetzen? Kann die Ökonomie die Politik überholen?
Ach, die Ökonomie agiert ja meist noch viel kurzfristiger als die Politik. Es ist nicht so, dass alle politischen Entscheidungen nur für die nächste Wahl getroffen werden. Es gibt schon die Staatsleute, die langfristig agieren und damit Erfolg haben. Die Weichen, die nach dem Weltkrieg gestellt wurden, haben lange doch eine friedlichere Erde geschaffen. UNO, Europäische Union, … Man sieht ja, was alles geht, wenn der Wille da ist. Das Problem in der Ökonomie ist heute, dass der Konsument über den Bürger gestellt wird. Das gab es so vorher nicht.
Der Bürger ist Konsument.
Der Bürger ist unter anderem auch Konsument, aber vor allem ist er Bürger. Heute werden die Interessen des Konsumenten höher berwertet als jene des Bürgers. Das gab es so noch nie.
Der GlobArt-Kongress, auf dem wir uns gerade befinden, steht unter dem Thema „Wendezeit“. Erkennen Sie Anzeichen, dass es diese Wendezeit tatsächlich gibt, oder ist das bloß eine Beschwörungsformel?
Die Wendzeit gibt es. Das Bewusstsein wächst, die Anforderungen sind bekannt, nur die Alternativen sind nicht sichtbar. Wir leben sehr bequem. Die meisten Menschen erwarten daher auch, dass es sehr einfach sein wird. Al Gore ist einer der wenigen Politiker, die von einer unbequemen Wahrheit sprechen.
Wer wird sie aussprechen?
Sie wird ausgesprochen, nur in der Kakaphonie der Medien geht das unter. Das ist ja wie in der Endzeit des Römischen Reiches, wo es nur um Brot und Spiele ging. Ich bin ein ganz normaler Sport- und Fußballinteressierter Mensch, aber ich kann das Wort „Fußball“ nicht mehr hören. Dieser Sport spielt eine derart dominante Rolle, dass es abartig ist. Brot und Spiele und Schnäppchenjagd! Die ganze Welt verwandelt sich in einen Bazar, wo man seine Lebenszeit damit zubringt, möglichst viele Sonderangebote zu erjagen.
Welche Absicht verfolgen Sie mit dem Kongress, der jetzt in Bonn stattfindet?
Da treffen sich die Alternativen NobelpreisträgerInnen. Die sehen sich sonst nie. Das ist für die eine Riesenbereicherung. Das sind Pioniere auf sehr vielen Gebieten, oft entstehen gemeinsame Projekte. Es geht natürlich auch darum, die geballten Erfahrungen der Nobelpreisträger zu vermitteln. Das passiert im deutschen Sprachraum, weil hier diese Diskussionen am weitesten fortgeschritten sind. Es wäre schwer vorstellbar, so einen Kongress in den USA zu organisieren.
Was hat Sie vor genau 30 Jahren veranlasst, den Right Livelihood Award zu gründen? Das war zu einer Zeit, wo die Wirtschaft in voller Blüte war und das Prinzip des Machbaren gegolten hat.
In den 70er Jahren war das Umweltbewusstsein so stark, wie es heute wieder ist. Es gab dazwischen einen massiven Rückschritt, aber die Fragen nach Wachstum und Fortschritt sind damals hochgekommen. Unter Nixon und Carter gab es in den USA erste Diskussionen über Alternativen zum Wachstumsmodell. Mich hat damals interessiert, warum diese Alternativen nicht ernst genommen werden. Da habe ich mir gedacht, mit einem Nobelpreis wird man schon ernst genommen. Ich habe der Nobelpreisstiftung vorgeschlagen, einen Ökologiepreis oder einen Preis für menschliche Entwicklung einzuführen, aber die wollten das nicht. Also habe ich das aus Eigeninitiative gegründet.
Wie sehen Sie die Zukunft? Als Optimist, als Pessimist?
Als Possibilist!
Was ist das?
Der Pessimist denkt, es hat alles keinen Zweck und der Optimist denkt, es wird sowieso alles gut. Der Possibilist sieht die Möglichkeiten und es hängt von jedem von uns ab, ob sie verwirklicht werden. Die Arbeiten unserer Preisträger werden oft als „Projekte der Hoffnung“ vorgestellt. Darum geht’s.
Ist das ein Aufruf an alle, Possibilisten zu sein?
Natürlich, jeder von uns entscheidet tagtäglich, ob er Teil der Lösung oder Teil des Problems ist. Und je mehr sich für die Variante entscheiden, Teil der Lösung zu sein, umso eher schaffen wir die Wende.