Aus dem Magazin WEGE, 2017

Es gibt kein Ich und Du. An jedem hängen Familie, Nöte und Neurosen

Ich und Du. Das war super. Drei Wochen lang auf Kreta. Da kannte ich nicht einmal deinen Nachnamen. Auch nicht deinen Vornamen. Ich nannte dich einfach Lucy nach diesem Lied von den Beatles, das es gerade gespielt hat, als wir uns das erste Mal bei Matala geküsst haben. Damit hattest du aus genau denselben Gründen denselben Namen wie dieses 3,2 Millionen Jahre alte Skelett, das in Äthiopien ausgegraben wurde und heute dort ausgestellt ist. Der Archäologe nannte seinen Fund auch Lucy, weil es gerade das Beatles-Lied im Radio spielte. Lucy In The Sky With Diamonds. Du warst auch so klein und dünn wie diese andere Lucy. Vom vielen Kiffen und Saufen und weil wir kein Geld für Souvlaki hatten. Mir war deine Gesundheit wurscht und dir meine. Nur du und ich. Keine Namen, keine Sorgen. Du nanntest mich Sue. A Boy named Sue von Johnny Cash. Spielte es im Radio als ich keinen hochbrachte. Wahrscheinlich auch vom Kiffen und Saufen. Lucy und Sue in Kreta. Ein Sonnenaufgang, ein Sonnenuntergang, ein bisschen Leben dazwischen. Eine gestohlene Tomate, ein kleines Gebetskettchen, und dauernd Musik. Und irgendwann: Hey, that’s no way to say goodbye.

Willst du, Karl Konrad Kleist, die hier anwesende Kremhild Scheiber zu deiner rechtmäßig angetrauten Frau nehmen? Die erste Unterschrift als Kremhild Scheiber-Kleist. Ich sagte aber lieber weiterhin Lucy zu dir. Und ich sag „Bärli“ zu dir, meintest du und machtest Ernst. Mit einem anderen, wie ich glaube. All you need is love. Festmenü mit Schweinsbraten. Unsere Väter schauten, wer mehr Bier mit Schnaps vertragen konnte, und verloren beide. Meine Mutter weinte, deine brannte für zehn Minuten mit dem Koch durch. Elli fand schließlich Opas Gebiss in der Hochzeitstorte. Der Alleinunterhalter hieß so, weil nur er alleine sich bei seiner Musik unterhalten konnte. Bei Living Next Door to Alice erwürgte ihn Onkel Reinhard. Und dann killte auch noch Video den Radio Star.

Ich und Du in einer Doppelhaushälfte neben deinen Eltern, unter meinen, zwischen Oma und Opa und über Großtante Elfi, eingehüllt von Cousinen und Tanten und Verpflichtungen. Jeden Sonntag Singen für den Frieden und Grillen für Gott. Ich und Du? Wir waren nie wieder allein. Da war plötzlich auch der Hund und wir schrieben Me and You and a Dog Named Boo auf die Wohnungstür. Ich wollte dich. Dich! Und was habe ich bekommen? – Gassi gehen um 5 Uhr früh bei Nieselregen. Vorstand werden im Ortsbildsverschönerungsverein eines Ortes, der gesprengt werden müsste, um ihn zu verschönern. Eine mir unbekannte demente Tante besuchen, die uns beim Betreten des Krankenzimmers mit Kotkügelchen bewarf. Tagelang unter Tränen darüber diskutieren, was man mit ihr machen soll. Einen Vorschlag haben, ihn aber besser nicht sagen dürfen. Geschenke für Schwippschwager aussuchen. Bei Witzen von deinem Vater lachen müssen, aber dafür nicht lachen dürfen, als er sich beim Feuerwehrfest anpisste. Die Fotos davon nicht herzeigen dürfen. Mit dir Sex haben wollen aber keine Zeit dafür finden. Trotzdem Kinder bekommen.

„Ich und Du“ ist eine Illusion. Das gibt es nicht. Es gibt im Leben kein „ich und du“. Niemals. Es gibt jedes Du nur mit einem riesigen klebrigen Packen an Vergangenheit und Ängsten, Sorgen, Nöten, Bedürftigkeiten, Neurosen, plus Familie und Krankheiten. Außer damals in Kreta. Drei Wochen lang.

Dann nahmen wir uns gemeinsam das Leben – ich und Boo. Wir traten vor Gott. „Endlich“, sagte ich, „bin ich bei Dir. Ich habe keinen anderen Gott neben Dir, denn du bist ein eifersüchtiger Gott. Jetzt sind wir endlich allein, ich und Du“. „Machst du Witze?“, sagte Gott und stellte mir seine 4000 Heiligen vor. Von Abbo bis Zubero. „Außerdem lebe ich hier mit einer Taube und meine Sohn zu meiner Rechten“, meinte er, „und ich stecke dauernd in Konferenzen mit diesen anderen Göttern, alleine die Hindus haben über 3.000 Götter. Was willst du, Narr? Sprich.“

Kreta.