Satire aus der Zeitschrift GASTRO, 90er Jahre

Wir zerbrechen uns den Kopf, unsere Gäste brechen sich die Zungen. Unsere Speisekarten sind ein Kleinod der Ortographie und überdauern garantiert jede Sprachreform.

Über die große Sprachreform können wir in unserem Städtchen nur lachen. Das scharfe “ß” haben wir in weiser Voraussicht schon vor Jahren aus unseren Speisekarten gestrichen. Nur dann und wann taucht es überraschend an verblüffenden Orten wieder auf, wie jüngst bei Joschi, der auf der Tageskarte ein Reißfleisch ankündigte.

Wir waren mit unserer Muttersprache nie kleinlich. Pioniergeist und Flexibilität zeichnen die örtliche Gastronomie eben aus. Der scheidende Tirol-Werber Andreas Braun meint, acht von zehn Gulyas wären hierzulande ungenießbar. Ich möchte ergänzen: wir können ein Gulyas nicht nur nicht kochen, wir können es auch nicht schreiben.

Gestern erst wand ich mich frühmorgens unschlüssig (oder unschlüßig?) vor meiner Gastwirtschaft. In der nervigen Rechten zerrieb ich die Kreide, die ohnehin längst durch meinen Angstschweiß unbrauchbar geworden war, mit der Linken hielt ich mich an der noch unbeschriebenen Anschlagtafel aufrecht. “Na, gibt’s heute wieder Gulyas, lieber Bronski?”, grinsten die morgendlichen Passanten. Diese Pharisäer. Hätten sie mir diese hämische Frage aufschreiben müssen, wären sie schön kleinlaut und still gewesen. Was blieb mir übrig, als den Familienrat einzuberufen.
Ich eröffnete die Runde, indem ich mutig “Gullasch” auf ein Blatt Papier schrieb. Nach zehn Minuten hatten sich die Mitglieder des Sprach-Beirates wieder halbwegs von ihren konvulsivischen Zuckungen erholt und mein liebend Weib notierte das innovative “Goulash”. Das letzte Kichern erstarb und machte bleierner stille Platz. Mir wurde plötzlich bewußt, was Auslöser der jüngsten Wahnsinnstat unseres armen Fremdenverkehrsdirektor gewesen sein könnte. Er hatte einen Scheiterhaufen aus Speisekarten der örtlichen Gastronomie gebildet und sich damit selbst in Brand gesetzt. Bevor er verendete, konnte er mit seinen rußigen Fingern noch an die Wand schreiben: “Ich kann nicht ein Leben lang mit Wahnsinnigen Scrabble spielen.”

Jo-mei, unser unseliger asiatischer Koch, unterbrach meine erhellenden Gedanken: “Ich immel gesagt, nul kochen Tofu.” Jo-mei durfte diesmal an der Beratung teilnehmen, weil es um ein Wort ohne “r” ging, aber schon bereute ich meine Großherzigkeit. Seit wir ihm bei einem Streit in Sachen Rehrücken vertraut hatten und damit den Monatspreis im großen Speisekarten-Tipp- und Rechtschreibfehler-Wettbewerb zugesprochen bekommen hatten, war Vorsicht angebracht. Ich möchte betonen, daß wir nur sechs Pokale dieses wenig begehrten Preises in unseren Regalen stehen haben. Zu groß ist die Konkurrenz. Ich zählte in einer Woche unglaubliche zwölf verschiedene Varianten an “Spaghetti bolognese” in unserem Städtchen. So variantenreich, wie wir sie schreiben, können sie gar nicht gekocht werden. Unübertroffen an syntaktischem Reichtum und kulinarischer Armut sind aber die Pommes frites. Es ist ein großes Mirakel um sie. Niemand weiß, wie man sie schreibt, niemand weiß, warum man sie ißt. Gott sandte sie, um uns zu prüfen. Es ranken sich viele Fragen darum. Etwa, warum die Kinder beim Verzehr von Pommes so entrückt wirken, wohingegen sie Braterdäpfel kategorisch ablehnen und selbst unter Beigabe eines Liters Ketchup nicht akzeptieren. Besteht die einzig sinnvolle Anwendung tatsächlich darin, sich zwei Pommes in je ein Nasenloch zu stecken und damit Kleinkinder zu erschrecken? Wer war dieser Fritz Pomm, der als erster Erdäpfel in Streifen schnitt und sie dann nach sich benannte? Über Auswirkungen bei oraler Einnahme informieren wenigstens Arzt oder Apotheker, wer aber über die richtige Schreibweise? Fragen über Fragen, die nur Gott und Käptn Iglo beantworten können.
Es war einfach zum Weinen und tatsächlich drang leises Schluchzen an unser Ohr. Mein unschuldiges Töchterchen hatte sich hinter der Schank verkrochen und wimmerte. Wir ließen Gullasch Goulash sein und stürzten los, unsere Brut zu trösten. Die Ursache ihres Kummers klärte sich rasch. Sie nahmen in der Schule gerade das Mendelsche Gesetz durch. Dieser erstmalige Zusammenstoß mit den Gesetzen der Vererbung hatte unser unschuldiges Töchterchen in tiefe Depressionen gestürzt, die durch die aktuelle Gulyas-Diskussion ihrer Eltern nicht gerade gelindert wurden. Mühsam entwanden wir ihr einen Zettel, auf dem sie gut 300 Mal “Es heißt Gulasch oder Gulyas” geschrieben hatte. Mit lautem Jucheißa stürzte ich ins Freie, um endlich das Tagesmenü anzupreisen. Das Hochgefühl einer erstmal ortographisch korrekten Anschlagtafel ließ mich den wütenden Ruf meines liebend Weibes überhören: “Das ist alles nur, weil sie immer deine blöden Artikel für diese GASTRO-Zeitschrift verbessern muß.”

Na schön, dann soll sie das eben ab sofort bleiben lassen. Wir sint Gulturtreger, pfleghen nicht nur unsere lendlichen Düalekte, wie man derzeit in Brüssel mit Schaudan feststellt, sondern auch unsare indvidunellen Schreibwaisen. In einem guten Rastorau lebt man eben auch vom Überraschungsaffekt. Es lebe die Fielfalt der Schbrache und die Beständichgeit des Brotugts: ein Goulash ist bei mir immer schön wassrig und flachsig. Gratiniert!