Patch Adams, Vater aller Clowndoctors, über sein Burn-out-freies Spital, wahren Reichtum und das Sterben. Das Interview führte Harald Koisser
Sie sind kein Gott in Weiß, wie es scheint. Sie kommen sehr bunt daher.
Ich bin kein Arzt, der sich als Clown verkleidet. Ich bin ein Clown, der Arzt ist. Ich mache mich gerne zum Trottel, um irgendwo Gewalt zu stoppen. Spaß zu machen ist die wunderbarste Art, Menschen näher zu kommen. Es ist doch eine Schande, nur weil man Macht über Menschen hat, diese Macht auszunutzen. Meine Mutter hat immer gesagt: never be rude! Ärzte haben das Privileg, grob und grausam sein zu können. Und sie nutzen es. Im Medizinistudium waren 90 % meiner Professoren grobe, arrogante Ärsche. Ich habe mich gefragt: wer bin ich einmal als Arzt?
Patch Adams!
Und als Patch Adams bin ich immer Arzt, nicht nur dann, wenn ich zur Arbeit gehe. Ich weiß gar nicht, wann ich nicht Arzt bin.
Vielleicht, wenn Sie gerade keine Zeit haben.
Meine Mutter sagte auch immer: don’t act like you’re in a hurry. Der Arzt hat keine Zeit, aber auch der Patient hat erstaunlicherweise keine Zeit und ebensowenig die Familie des Patienten. Niemand hat Zeit, alle sind in Eile. In 120 Ländern der Welt ist das so. Das ist der lauteste Schmerz, den ich je gehört habe. Eine Visite dauert oft nur 10 Minuten. In 10 Minuten kann aber niemand ein guter Arzt sein, völlig unmöglich. Das wissen die Ärzte sehr genau. Und es ist eine verdammte Hölle, zu wissen, dass man es besser hätte machen können, wenn man nur mehr Zeit gehabt hätte. Ärzte, die sich nur 10 Minuten Zeit für ihre Patienten nehmen, hassen ihren Job. Ich rede mit neuen Patienten vier Stunden lang.
Ertragen das die Menschen?
Ich tue das für mich. Ich stelle Fragen, die mit dem wirklichen Leben zu tun haben. He, ich will mich in die Patienten verlieben. Meine erste Frage ist fast eine Forderung: ob ich den Patienten zuhause besuchen kann. Dann agiere ich eher ungewöhnlich. Ich öffne alle Laden, schaue mir persönliche Briefe an, frage, ob ich die lesen darf. Ich lade mich gerne auch zum Essen ein. Kinderzimmer sind großartig. Ich spiele dort mit Kindern, wenn es geht. Man lernt eine Menge über Kinder, wenn sie nicht im selben Raum wie ihre Eltern sind. Und man lernt dabei auch eine Menge über die Eltern.
Sie haben in West Virginia das „Gesundheit Institute“ gegründet. Wie ist das?
Am besten leer! Ein Spital muss leer sein. Aber das wollen die Patienten nicht hören. Sie sagen: stop that crap, give me a pill. Wie wär’s stattdessen mit Aerobics, drei Nächte Rock’n’Roll. Laden wir uns doch gegenseitig zum Essen ein und servieren wir uns etwas Gesundes. Wir haben offenbar verlernt, gesund zu sein. Ich habe 3000 Menschen mit psychisch schweren Diagnosen behandelt aber niemals Psychopharmaka verabreicht, never. Ich habe stattdessen Leute 12 Stunden im Arm gehalten.
Sie haben ein Spital, das leer ist?
Es ist eine wunderbare Farm in einer wunderbaren Umgebung, ein organisches System, ein Kunstwerk, eine Universität menschlicher Kultur. Der Großteil der Mitarbeiter lebt dort im Spital, gemeinsam mit ihren Familien. Es ist ihre Heimat. Das Wichtigste ist, dass die Mitarbeiter des Spitals wirklich, wirklich glücklich sind. So glücklich, dass sie für verdammte 3.600 Dollar pro Jahr arbeiten. So ist es nämlich. He, ich habe Leute, die 2 Millionen verdienen, dazu gebracht, für 3.600 zu arbeiten. Und die Leute hassen es, sich Freizeit zu nehmen. Ich habe ein burn-out-freies Spital. Die Gesundheit der Menschen, die dort arbeiten, ist vorranging. Wie wollen wir sonst andere gesund machen?
Unkonventionelle Behandlung ist gerade in Amerika keine Kleinigkeit. Werden Sie nie verklagt?
Wir haben eine Million Fehler gemacht, aber sind niemals verklagt worden. Niemals. Ich habe wahrscheinlich einen speziellen Trick: ich besitze nichts. Ich meine es ernst. Ich mache rund eine Million Dollar pro Jahr mit Vorträgen, aber ich behalte nichts davon. Da sehen Sie, wie reich ich bin.
Wie reich sind Sie denn?
Wir denken value is money. Aber so unendlich viele Dinge haben einen Wert, der viel, viel größer ist. Wie ein Fluss, der so rein ist, dass man darin mit offenem Mund schwimmen kann. Von den Millionen Dingen, die man lieben kann, haben wir uns ausgerechnet Geld ausgesucht. Was für ein Schwachsinn. Keine einzige Studie zeigt, dass man von Geld glücklich wird. Selbstmorde von Teenagern sind in reichen Ländern am höchsten. Als ich von Haiti nach der Erdbebenkatastrophe zurück gekommen bin, wollten alle Leute Horrorgeschichten hören. Ich habe ihnen erzählt, dass die Frauen getanzt haben, alle wollten tanzen. Inmitten all des Schmerzes wurde getanzt. Das ist gut, aber mach’ das einmal in einer Shopping Mall in Amerika. Das dauert keine Stunde und du bist eingesperrt. Wir können doch problemlos Reichtum ganz ohne Kapitalismus schaffen. Du kannst ein Bio-Farmer werden oder einem Orchester beitreten. Was auch immer dich interessiert, du wirst andere finden, die genau das auch interessiert. Das macht dich reich. Ich habe vor langer Zeit zwei Dinge beschlossen: der Menschlichkeit mit Hilfe der Medizin zu dienen und niemals wieder einen schlechten Tag zu haben.
Wenn ich morgen einen Unfall habe und querschnittgelähmt bin, dann komme ich zu uns auf die Farm, werde mittendrin sein in all dem Getriebe, anders natürlich als vorher, aber ich wäre keine Last, sondern immer noch ein lustiger und reicher Mensch.
Offenbar haben viele Leute diesen Trost nicht, dass sie aufgehoben sind in einer Gemeinschaft.
Christen haben die Ewigkeit, Hindus die Reinkarnation. Die entscheidende Frage ist aber: lebst du hier? Die meisten leben nicht.
Sie haben viele Menschen im Leben, aber auch beim Sterben begleitet.
Sterben ist leicht, das wirkliche Leiden ist das Leben. Pain is the physical expression of hurt, suffering is the hurt of the spiritual world.*) Wenn Sie nur mehr eine Woche zu leben haben, dann bin ich der Richtige für Sie! Im Vertrauen: über das Sterben kommt man hinweg.
Wovon träumen Sie, wenn Sie realistisch sind?
Von einer Welt, in der sich niemand an das Wort „Krieg“ erinnern kann. Wie würde Business da wohl aussehen?
*) Der Satz ist schwer genau so elegant ins Deutsche zu übertragen. Am ehesten meint er: Schmerz ist der physische Ausdruck von (auch seelischer) Verletzung. Leiden ist das Verletzt-Sein des Geistes.