Das Arbeitsleben bringt es mit sich, dass man befördert wird. Doch es ist die Kündigung, die wirklich glücklich macht

 Als wir hörten, dass Franz Karriere gemacht hatte, waren wir erschüttert. Wir wünschten, wie es sich in so einem Fall gehört, herzliches Beileid, spendeten Kerzen für das Seelenheil von Franz und selbst die ungläubigen Freunde beteten.

„Lass den Kopf nicht hängen,“ versuchte ich zu trösten, doch meine Stimme brach und Franz wusste, dass ich das Schlimmste befürchtete. „Es muss nicht das Ende sein“, meinte Joschi, „es gibt auch ein Leben mit Karriere.“ Wenn Franz wenigstens gesagt hätte, dass ihn seine Frau verlassen hätte oder ihm Padre Pio erschienen wäre. Wir wären da gewesen und hätten ihm beistehen können. Aber „Karriere“?! Wir wissen doch alle, dass es gegen diesen Befall noch kein wirksames Mittel gibt. Dass es unaufhaltsam bergab geht mit den Befallenen. Mental, körperlich, seelisch. Franz selbst wusste das. Mit Tränen in den Augen berief er uns in unser Stammbeisl ein, spendierte Runde um Runde und irgendwann musste es die letzte sein. „Wir sehen uns nächste Woche“, lallte er, „oder zumindest nächsten Monat.“ – „Oder im nächsten Leben“, hauchte Hubert in sein Bierglas.

Ich sah Franz nie wieder, außer ab und zu am Cover eines Wirtschaftsmagazins. Er hatte dort dieses für Morbus Karriere so typische angenietete Lächeln und die angeklebten Sorgenfalten, und er sprach auch jene aufgeblähten Sätze, die von Ferne wie menschliche Sprache wirkten, doch nur miefende Abwinde aus mehrfach verdauten Vorstandsprotokollen waren. „Man muss sehr genau abwägen“, sagte er und man müsse „auf Augenhöhe“ mit jenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und Transgenderpersonen reden (Franz genderte konsequent alle Reden auch für das dritte Geschlecht). Er wollte wirklich alle konkret ansprechen, die er jetzt angesichts der rückgängigen Gewinnerwartungen kündigen musste. Sein Augen flackerten irre, als er das bei einem Fernseh-Interview sagte und ich konnte in die noch vorhandene Seele des jungen Franz sehen.

„Karriere ist keine Ehre“, hatte er selbst gedichtet, als wir die UNI besuchten. Wer wolle schon in einem Schnellzug, der mit Vollgas in einen Kopfbahnhof einfährt, Lokführer werden? Karriere ist die heutzutage größte Bedrohung für die menschliche Integrität und die persönliche Gesundheit. Die Weltgesunheitsorganisation warnt dringend vor Karriere. Sie führt zu Schizophrenie und Megalomanie und anderen komplizierten Zuständen.

Als wir hörten, dass Franz den ersten Gehörsturz hatte, waren wir geschockt. Den nachfolgenden Gehörsturz und den anschließenden Hinterwandinfarkt konnten wir dann schon relativ präzise voraussagen.

Arbeit kommt vom altgermanischen arapi, was soviel wie „Mühe, Plage“ bedeutet. Es ist eine dem Gelderwerb dienende Verrichtung, die nur durch die Ausübung eines Hobbys erträglich wird. Ein Hobby wirkt wie Arbeit, dient jedoch nicht dem Gelderwerb und wird dem Vergnügen zugerechnet. Die Menschen wenden enorme Zeit und viel Talent für ihre Hobbys auf, werden aber für Arbeit bezahlt. Wenn man in einem Hobby Karriere macht, wird es zur Arbeit. Macht man in der Arbeit Karriere, wird es zu Burn-out.

Franz hatte das ganze Stadium durchlaufen. Er war als Kind begeisterter Bastler gewesen, hatte sein eigenes Eigenheim zerbastelt, sich zum Ingenieur hochgebastelt, eine Identität zurechtgebastelt und war nunmehr Vorstandsdirektor eines Elektrokonzerns geworden. Jetzt bastelten Ärzte an seinem Herzschrittmacher. Ich besuchte ihn in der Intensivstation.

„Du schreibst doch gerne“, krächzte er, „du schreibst gut.“ Ich nickte aus Höflichkeit. „Sag es niemandem“, schrie er heiser und packte meinen Arm, „lass es niemanden wissen. Wenn du das tust, bekommst du womöglich einen Job als Schreiber. Und dann befördern sie dich. Sei wachsam.“ Dann schlief er ermattet ein.

Hubert nickte wissend. Er konnte wunderbare Handläufe und Vasen drechseln, hatte aber wohlweislich einen Job als Briefzusteller angenommen. „Ich bin doch nicht blöd und versaue mir die Freude an einer Holzschnitzarbeit durch einen Auftrag“, sagte er. Egon wusste seit jeher alles über Papier und Druck, verbrachte seine Zeit aber seit Jahren damit, in U-Bahnstationen zu stehen und den Wachturm zu halten. „Es ist so entspannend, von vorbeiziehenden Atheisten beschimpft zu werden“, begründete er sein Engagement bei den Zeugen Jehovas, „das ist nichts im Vergleich zu den Meetings, die ich im Fellner-Medienkonzern hatte.“ Joschi wiederum engagierte sich seit Jahrzehnten beim AMS und hat erst kürzlich die diamantene Anstecknadel für den längsten und höchstqualifizierten Langzeitarbeitslosen bekommen.

Das Leben hält Wunder bereit. Das darf man in der Planung nie außer Acht lassen. So kam es, dass Franz gekündigt wurde. Grundlos und fristlos, wie es sich für einen großen Konzern gehört. Franz stand auf der Straße, fertig und abgefertigt. Es war ein Fest. Wir orderten Champagner und als wir davon trunken waren, betranken wir uns ein zweites Mal mit schottischem Single Malt.

Es ist das Glück auf Erden, von unerträglichen Zuständen gekündigt zu werden. Kündigung. Das ist etwas, was man wirklich feiern muss.

Der Artikel ist im Magazin WEGE – www.wege.at – erschienen