Die heimische Industrie investiert ein Vermögen in völlig neue Technologien. Da wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Auch nicht in den Köpfen der Menschen (Okt. 2021)
Unter dem Eindruck der Umweltkatastrophen hat die EU ihre Umweltschutzbestrebungen konkretisiert und setzt jetzt voll auf CO2-Reduktion. Im Programm „Fit for 55“ sollen die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent (statt bisher 40%) im Vergleich zum Basisjahr 1990 gesenkt werden, um dann im Jahr 2050 auf Null zu stehen. Europa soll also ein CO2-neutraler Kontinent werden. In dieser Deutlichkeit und Unbedingtheit ist das doch eine recht radikale Ansage.
Das sagt sich jetzt einmal leicht. Aber wer wird diese Vision erfüllen? Ich habe mich bei der heimischen Industrie umgesehen (hier zum Beispiel) und millionenschwere Investitionen in eine mögliche CO2-Reduktion gefunden. Die Industrie ist der einzige (!) Sektor in Österreichs Ökonomie, der sich mit degressiven und international einklagbaren Emissionsbudgets konfrontiert sieht. Die müssen also etwas tun. Und was dort getan wird, ist beachtlich. Alleine die Demonstrationsanlage zur emissionsfreien Zementerzeugung von Lafarge in Mannersdorf kostet 100 Millionen Euro. Das ist aber nur eine Versuchsanlage. Sie dient der „Übung“. Dort schaut man, ob das überhaupt geht, was man sich ausgedacht hat. Und – noch wichtiger – ob das im Industriemaßstab möglich ist, also ob diese Technologie dann auch skalierbar ist. Genauso sieht es aus bei voestalpine, OMV & Co. Da ist zum Beispiel die Rede von „grünem Kunststoff“, der ohne Erdöl erzeugt wird und in einen technischen Kreislauf eingehen kann. Das alles galt als Utopie und wird jetzt angedacht.
Wo bleibt der Grünstrom?
Da fließen also Millionen in die Erforschung von Breakthrough Technologies, auf Deutsch: bahnbrechende Technologien. Das sind Technologien, die großindustrielle Herstellungsprozesse auf den Kopf stellen. Es sind Technologien, die noch niemand kennt. Wären sie bekannt, wären sie ja schon da. Die heimische Industrie ist an einem Punkt banger Hoffnung. Von echtem Durchbruch und sicheren Lösungen ist man weit entfernt. Da wurde mit Planung begonnen ohne große Planungssicherheit. Für all diese Technologien braucht es nämlich Grünstrom. Eine CO2-freie Stahl- oder Zementproduktion nutzt nichts, wenn man dafür Atomstrom oder Erdöl als Energiequelle braucht. Wo aber sollen die unglaublichen Mengen an grünem Wasserstoff herkommen?
Da muss die Politik Leadership zeigen. Neue Energie wird neue Anlagen brauchen. Gegen neue Anlagen wird es Proteste aus der Bevölkerung und von Umweltschutzverbänden geben. Die radikale Veränderung der heimischen Industrie im Dienste der Weltrettung ist keine isolierte Angelegenheit, die man sich von außen gemütlich anschauen kann. Das Wort „radikal“ kommt von „radix“, die Wurzel. Da wird etwas mit der Wurzel ausgerissen. Eine Kultur des Denkens in Politik und Bevölkerung wird aufgebrochen und umgewälzt. Was da passiert, betrifft alle Sektoren der Volkswirtschaft, es betrifft alle Menschen in Österreich, alle in Europa, und alle auf diesem Planeten. Da ist eine Umwälzung im Gange, der sich niemand entziehen können wird.
Der Rest der Welt muss ins Boot geholt werden
Wo also stehen wir gerade im großen Umbruch? – Die EU hat CO2 als das große Umweltthema schlechthin festgeschrieben und in Gesetze gegossen. Die österreichische Industrie hat sich ein Herz und tief in den Geldbeutel gefasst und wird offenbar dieses Ziel erreichen. Zugleich versuchen sie als „Best of Class“ bahnbrechende Technologien zu entwickeln, die zu einer internationalen Technologieführerschaft führen. Die EU hat allerdings nur einen Anteil an den weltweiten Emissionen von acht Prozent. Dort, wo die restlichen 92 Prozent CO2-Ausstoß stattfinden, gibt es derzeit keine Rechtsverbindlichkeit. Kein Gericht des Globus kann heute Amerika, Indien oder China zur Verantwortung für ihre Emissionen ziehen. Es braucht also global vergleichbare und einklagbare Reduktionsziele. Sonst produzieren wir in Österreich brav emissionsfrei – Stahl zum Beispiel, und importieren dann „kontaminierten“ Stahl aus dem Ausland, was die heimische Tonne Stahl nicht wettbewerbsfähig und zugleich den österreichischen Carbon Footprint kaputt macht. Das sind die Tücken der globalisierten Welt. Der Rest der Welt muss also ins Boot geholt werden. Wir alle in einem Boot – das ist ein großer Umbruch des Denkens. Für alle.