Wie wollen wir leben? (Teil I)

Am 10. Februar 2025 habe ich mit einigen Männer und Frauen ein Gespräch zur Titelfrage geführt. Initiiert habe ich es, weil ich mir diese Frage selbst oft gestellt habe – in meinen Partnerschaften, in Freundesbeziehungen, in der Familie. Und ganz besonders im Staatsgefüge, in dem ich lebe. Ich halte die Frage für essentiell.

Zuerst einmal wollte ich wissen, ob ich mit dieser Frage überhaupt richtig liege. Ist die Frage relevant?

Kurze, einhellige Antwort: Ja, und wie! Der Mensch kann als soziales Wesen nicht alleine leben. Er braucht die anderen. Er kann sich der Frage nach dem „wir“ nicht entziehen.

Na dann.

Ich – Wir – die anderen

In der Gesprächsrunde haben wir sehr schnell festgestellt, dass jeder Mensch wohl die Frage beantworten kann „Wie will ICH leben?“. Aber es gibt eben auch ein „wir“, beginnend bei einer Partnerschaft. Dann gibt es Familie, Freunde, berufliches Umfeld. Das Miteinander in unterschiedlichen Bereichen schafft Spannungen, aber auch Lebendigkeit. Die Frage „Wie wollen WIR miteinander umgehen, das Leben gestalten, Dinge unter uns aufteilen, …?“ muss in jedem Menschenleben gelöst werden.

Doch es gibt umgangssprachlich auch „die anderen.“ Das sind all jene, die nicht zum eigenen Bekanntenkreis gehören, oder überhaupt weit weg von der eigenen Lebenswirklichkeit existieren. Wenn wir uns fragen, wie WIR leben wollen, wer ist dann dieses „wir“? Sind das ich und meine Lieben? Und „die anderen“ interessieren mich nicht weiter? Friedrich Nietzsche hat ja einmal launig gemeint, es hieße „liebe Deinen Nächsten“, aber man vergäße immer zu sagen, „und fürchte den Übernächsten.“ Denn der Übernächste, die fremde Kultur, die ganz anderen … das ist doch etwas gruselig und so weit weg.

Wenn wir aber die Frage „wie wollen wir leben“ so zu beantworten beginnen, dass wir von dem „wir“ ein klitzekleines Stückchen abschneiden und sagen: So, DAS sind WIR, und die anderen gehören nicht dazu  – welches gute Leben erhoffen wir uns? Kann das gelingen? Aufgrund der globalisierten Welt, sind „die anderen“ eine Illusion. Es gibt sie nicht (mehr). Es gibt nur ein globales Wir. Dieser ganze Planet ist ein „Trabant am Rande des Universums“ (Jacques Monod) und wir alle sind seine Passagiere. Wenn wir irgendwo ein Leck in das Raumschiff schlagen, betrifft es alle.

Alle – das sind nicht nur wir Menschen

Alle also. Alle Menschen. Und die Tiere und Flüsse und Bäume? Sie sind unsere Lebensgrundlage. Können wir die Kernfrage beantworten und diese Grundlagen nicht mitbedenken? Die Antwort auf die Frage „wie wollen wir leben?“ heißt zuerst einmal: im Einklang. Alle müssen gehört werden und haben ein Stimmrecht in der Debatte.

Können wir so groß an die Frage herangehen? Macht das eine Beantwortung nicht von Haus aus unmöglich?

Die „anderen“ als Sündenböcke

Praktisch erleben wir gerade wieder eine Politik, welche die Unterscheidung in „wir“ und die „anderen“ bewusst betont. Die Politik ist in diesem Sinne „übergriffig“, wie eine Gesprächsteilnehmerin anmerkte, weil das Miteinander und die globale Handlungsfähigkeit gestört werden. Schon Sartre wusste: „Die Hölle, das sind die anderen“. Und die anderen werden bewusst benutzt, um sie als Hölle darzustellen, ihnen also die Verantwortung für Probleme umzuhängen. Auf diese Art und Weise werden wir die Frage nicht beantworten können? Wo beginnen?

Ich und Ich

Die Lösung der Frage „wie wollen wir leben?“ beginnt beim Individuum selbst. Zitate aus unserer Gesprächsrunde:

„Viele Leute sind im Kopf und nehmen ihren Körper nicht wahr; nur wenn ich zuhause bei mir bin, kann ich jemanden einladen und in Kontakt mit anderen gehen.“
„Wir lernen, dass Mangel herrscht und wir dadurch in die Konkurrenz gehen müssen. Wir müssen um Ressourcen kämpfen. Wenn ich mit meinen Klienten diesen Glaubenssatz aufweiche, dann geht es allen besser und sie bleiben genau so erfolgreich wie vorher.“ Erfolg braucht keine Konkurrenz.
„Es braucht Bewusstheit.“
„Es geht darum, mit einer Taschenlampe in seinem eigenen Keller das Dunkle auszuleuchten.“

Wenn das gelingt, ist es ein Beitrag zum guten Leben für alle.

Die wunderbare Bubble

Die Welt besteht aus Bubbles, aus verschiedenen Mengen und die bilden dann Schnittmengen. Die Bubble ist höchst notwendig. „Sie ist ein Übungsplatz, wo wir uns erproben können“, wie eine Gesprächsteilnehmerin anmerkte. Nur wenn ich dort gestärkt bin, kann ich hinaus gehe. Wenn ich geschwächt werde, kann ich in meiner Bubble auftanken. Wir müssen daher für gute Bubbles (nährende Kreise) sorgen.

Was braucht es für ein gutes Leben?

Schließlich haben wir uns gefragt, was es denn für ein gutes Leben braucht.

  • Willkommen sein, auch mit einer anderen Meinung
  • Sich seinen eigenen Wohlfühlraum schaffen, damit man dann anderen begegnen (und sie sogar unterstützen) kann
  • Heile, intakte Natur (weil wir schließlich Wesen der Natur sind)
  • Von anderen wahrgenommen und gehört werden
  • Gefragt werden, an Entscheidungen teilnehmen dürfen (gilt für Partnerschaft bis hinauf zur Weltgemeinschaft); es geht nicht darum, überall entscheiden zu müssen; es geht darum teilhaben zu können. [Auf wen in einer Partnerschaft darf ich nicht hören? Wen darf ich überrollen? Gibt es einen Anspruch darauf, jemanden zu ignorieren und zu überrollen? Kann man ein gutes Leben für alle haben, wenn ein Teil dieser „allen“ überrollt wird?]
  • Immer die Frage bedenken/stellen und gestellt bekommen: Wer bist du? Was brauchst du? (wie) willst du dich einbringen?
  • Liebesfähig sein und bleiben können = handlungsfähig bleiben

Helle Inseln im dunklen Meer

Als Résumé der ersten Gesprächsrunde kann ich sagen, dass die Gesprächsrunde selbst eine Antwort auf die Frage ist. SO! wollen wir leben. Wir wollen offene, faire Gespräche führen, wo alle gehört werden. Lasst uns Inseln bilden, helle Inseln im dunklen Meer!

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PS.: Wir haben uns auch die Frage gestellt, was denn wäre, wenn nicht alle der Meinung sind, bei sich selbst anfangen zu müssen. Siehe dazu -> Wie wollen wir leben, wenn nicht alle wollen

Titelbild: Danke an Gerd Altmann von Pixabay