„Aus Mangel an Ruhe läuft diese Gesellschaft
auf eine schöne Barbarei hinaus“ – Friedrich Nietzsche
- Nichtstun ist eine Bedrohung für das System
- Doch KI zwingt uns schon sehr bald zum kollektiven Nichtstun
Eines Tages kroch der sonst so stille Diogenes aus seinem Fass, legte es um und rollte es in hohem Tempo zum Marktplatz von Athen und dort immer hin und her. Er schwitzte und rackerte. Was er denn da mache, wollten die Bürger wissen. Er wolle auch einmal so wichtig und betriebsam sein, wie alle anderern auch, sagte Diogenes.
Wozu diese ganze Betriebsamkeit? Woher kommt diese Idee des Schuftens und Rackerns?
Die Idee der Erwerbsarbeit
arbeit (althochdeutsch) = Mühsal, Plage, Anstrengung. Die Bibel sagt, wir müssen unser täglich Brot im Schweiße unseres Angesichts verdienen.
Das wussten die Menschen anfangs offenbar nicht, denn in der Zeit vor der Sesshaftwerdung des Menschen war die tägliche Mühsal auf vielleicht zwei, drei Stunden pro Tag beschränkt. Die Menschen zogen ohne festen Wohnsitz durch ein üppiges Paradis. Das, was wir unter Arbeit verstehen, hat erst seit dem Mittelalter dramatisch zugenommen und seinen Höhepunkt im 19. Jahrhundert erreicht. Da haben die Menschen unter ausbeuterischen Bedingungen fast rund um die Uhr gearbeitet. Die Industrielle Revolution hat Energie und Leben vernichtet – von Menschen und Tieren. Die Arbeit hat massiv zugenommen, deren Sinngehalt ebenso massiv abgenommen.
Seit dem 19. Jahrhundert ist die Arbeitszeit wieder gesenkt worden, aber immer noch auf einem Höchstwert in der Menschheitsgeschichte. Nur wenigen ist es vergönnt, jene schöpferische Tätigkeit, zu der sich jeder Mensch berufen fühlt, als Arbeit zu betrachten. Für den Großteil der Menschen ist Arbeit immer noch das ungeliebt Andere. Darum heißt es wohl Work-Life-Balance – die Arbeit ist das eine, das gute Leben das andere.
Nichtstun – eine Bedrohung für das System
„Wie empfinden es als wichtig, jederzeit auf eine Weise produktiv zu sein, die von außen offensichtlich als produktiv erkennbar ist“, sagt die Schriftstellerin Jenny Odell, „Nichtstun ist eine Bedrohung für das System.“
Unser System ist durch Kapitalismus definiert. Da geht es um Arbeitszeit und Wareneinsatz. Aus 100 Euro müssen 150 werden, egal was der Inhalt der Arbeit ist. Arbeit muss diesen Gewinn einfahren, sonst lohnt sie nicht. Damit ist der Fokus auf die rein materielle Ebene dem Kapitalismus immanent, Debatten um Werte und Purpose sind sekundär.
Nichtstun ist nur zulässig am Flughafen, wenn wir auf den Check-in warten. Gleich werden wir mit hohem Tempo irgendwohin katapultiert. Derweil dürfen wir Nichts tun, was bedeutet, dass wir konsumieren und technische Geräte bedienen.
Das Nichtstun kommt auf uns zu
Arbeitslos sein – unangenehm. Bedingungsloses Grundeinkommen – Fehlanzeige. Aktuell wird eine Debatte geführt, dass Menschen bis 70 arbeiten sollen. Aber was eigentlich?
Die Frage ist keineswegs abstrakt und theoretisch. Sie ist sogar äußerst drängend. Der KI-Experte Anton Korinek sagt in einem Gespräch mit dem Magazin „Datum“, dass die KI binnen zehn Jahren jede, wirklich jede (!) Tätigkeit des Menschen besser machen wird als der Mensch selbst. Selbst das Erkennen und Deuten von Emotionen wird die KI besser beherrschen: „Was an der jüngsten Generation von KI Modellen so krass ist, ist, dass sie kreative Aufgaben besser erledigen als analytische. Das liegt daran, dass sie auf neuronalen Netzen basieren, wie unsere eigenen Gehirne. Diese grundlegende Architektur bestimmt alles andere. Vielleicht können wir einiges im Moment noch ein bisschen besser als die KI, aber schon bald wird sie besser sein. Dann wäre es doch unangemessen, ja verantwortungslos zu sagen, nein, ich mache das weiterhin alles selbst und vertraue darauf, dass die Menschen dafür zahlen, weil es von einem Menschen gemacht wird, obwohl das Ergebnis schlechter ist.“
Schon sehr, sehr bald wird laut Korinek der wirtschaftliche Wert von Erwerbsarbeit in den Keller fallen. Dann sind wir allesamt auf einmal unsere Arbeit los und die heutige Debatte über Arbeiten bis 70 ad absurdum geführt. Dann sind wir zum Nichtstun gezwungen. Nichtstun bedeutet ja nie, dass wir nichts tun. Es bedeutet, dass wir keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Vorbereitet darauf sind wir nicht. Sonst müsste, statt einer Debatte über längere Arbeitszeit, eine über die volkswirtschaftlich gerechte Verteilung der Wertschöpfung durch KI geführt werden.
Ich empfehle eine Einübung in das produktive Nichtstun. Wir müssen es erlernen, weil es auf uns zukommt.
[Juli 2025]

