Der Kaiser ist nackt

Intelligente Menschen haben seit jeher eine Neigung, in unstrukturierte Dinge Struktur bringen zu wollen, in sinnlosen Ereignissen Sinn zu suchen und in wildem Gekrächze eine Melodie zu finden. Wir Menschen sind so. Wir sagen offenbar nicht gerne: „Das ist unstrukturiert, sinnlos, geschmacklos“. Das ist ein eigentlich sehr sympathischer Zug an uns Menschen. Wir suchen Sinn und Schönheit in allem. Sogar in Donald Trump.

Im Umgang mit Donald Trump tun viele so, als wäre das, was Trump sagt, irgendwie sinnvoll, geistreich und wohlüberlegt. Dass das auch kritische Journalistinnen hier in Europa machen, fällt mir immer wieder auf und ich frage mich: warum?

Gesprächspartner rationalisieren: ein journalistischer Job

Es ist ein journalistischer Reflex, den ich an mir selbst kenne. Ich bin es, wie alle Journalist:innen, gewohnt, unzusammenhängende und grammatikalisch inkorrekte Statements von Interviewpartnern in druckreife Sätze zu bringen. Ich will ja einen Artikel abliefern, den man lesen kann. Und zwar rasch, weil der nächste wartet schon. Und ich habe ja auch keine Absicht, meine Gesprächspartner zu blamieren. Dann lege ich dem Interviewpartner Sätze in den Mund, die er nie auch nur gedacht hat.

Wenn ich den Leuten dann die geschönten Texte zur Freigabe vorgelegt habe, hat niemals irgendjemand angemerkt: „Das habe ich so nicht gesagt!“ Das ist eben der unausgesprochene Deal im Interview. Du sagst etwas, ich bringe es in Form.

Trump rationalisieren: ein Scheitern

Und jetzt merke ich, dass im Fall von Trump diese Art der Übersetzung nicht funktioniert. Weil es gar kein taugliches Ausgangsmaterial gibt, bloß eine Art Hintergrundrauschen. Das Datenmaterial ist nicht einfach unstrukturiert. Es ist irrational. Aber Journalisten funktionieren eben, wie sie funktionieren. Aus völlig losen, irrwitzigen Wortfetzen bauen sie eine Aussage, die klingt, als hätte Trump tatsächlich einen nachvollziehbaren Gedankengang in drei Sätzen formuliert.

Ein Text-Beispiel aus der Frankfurter Allgemeinen: „Auf die Kapitolerstürmung am 6. Januar 2021 angesprochen, wurde Trump gefragt, ob er etwas bereue. Der ehemalige Präsident blieb stur: Er habe nichts damit zu tun gehabt. Dann beklagte er den Umgang mit dem gewalttätigen Mob durch die Justiz und fragte, warum diese nicht gegen kriminelle Migranten oder die ‚Black lives matter‘-Leute vorgehe, die Minneapolis niedergebrannt hätten.“

Der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen dazu: „Diese Beschreibung ist zutreffend und präzise, und wirkt gleichzeitig auf eine seltsame Art hilflos gegenüber der Absurdität eines Auftritts, der an Inkohärenz und Brutalität kaum zu überbieten war. Trumps zielloses, lügenhaftes und manisch aggressives Gefasel scheint durch die lakonische Paraphrase, den vornehmen Konjunktiv oder putzige Adjektive wie „stur“ nicht ausreichend erfasst. Die Konventionen des niveauvollen journalistischen Erzählens, die auf Neutralität, Objektivität und Zurückhaltung angewiesen sind, suggerieren eine Normalität, die keine ist.“

Unzulässige Klugwaschung

Unsere gelernte Art der journalistischen Beschreibung von Menschen und Zuständen scheitert derzeit an Donald Trump. Der US-Präsident hält Grundregeln des Anstands, des Diskurses und der Ethik nicht ein und ein auf diese Grundannahmen aufbauender Journalismus kann das nicht fassen. Um Trump kritisieren zu können, heben die Kritiker Trumps Aussagen auf eine rationale Stufe. Dort aber haben sich diese Aussagen nie befunden. Trumps Aussagen sind streckenweise grammatikalisch und semantisch inadäquat.

Der Journalismus macht sich einer unzulässigen Rationalisierung von Trump schuldig. In Anlehnung an den Begriff des Greenwashing, geistert bereits der Begriff des „Sanewashing“ (also „Heilwaschung“) durch die Medien. „Klugwaschung“ wäre treffend. Selbst kritische Medien betreiben die Klugwaschung eines Entgleisten.

Es braucht jetzt die Unschuldigkeit des Kindes und Kunst

Was Not täte, wäre ein Journalismus, der das Kind beim Namen nennt. Wie wär’s mit einem Nachrichtensprecher, der sagt: „Donald Trump ist bei der Debatte vollkommen durchgedreht“ oder „Donald Trump wollte etwas verlautbaren, hat aber keine zusammenhängenden Sätze formulieren können. Wir berichten ein ander mal.“ Aber das kann Journalismus (noch) nicht. Es braucht jetzt die Unschuldigkeit des Kindes angesichts des nackten Kaisers. Kinder können das. Und die Kunst.

 

[April 2025]